Verwaltung verwaltet sich vor allem selbst
Gesetzesänderungen drohen Behörden lahmzulegen Viele neue Wörter machen noch keine Reform Von Jan-Cesar Woicke
Die Akten stapeln sich ND-Foto: B. Lange
Es gibt Spezialisten, die ein »geradezu sadistisches Vergnügen« daran empfinden, die Verwaltung »völlig lahmzulegen«. Das behauptet Jürgen Schilke, Vorsitzender der DAG-Betriebsgruppe in der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr Stein seines Anstoßes ist der Entwurf des 3. Gesetzes zur Reform der Berliner Verwaltung (3. VerwRefG), der den Innensenat im Juli verlassen hat und jetzt zur Beschlußfassung im Abgeordnetenhaus liegt. Vermeintliches Ziel des 29-Seiten-Werks: Der hauptstädtische Amtsschimmel soll fit fürs neue Jahrtausend gemacht werden. Schilkes Rat an die Politiker: »Wegschmeißen!«
»Hat denen denn noch niemand gesagt, daß eine Verwaltung auch andere Aufgaben hat, als sich mit sich selbst zu beschäftigen?«, fragt der Gewerkschafter Offenbar nicht, denn Kernstück des Regelungswerks ist weder Abbau von Filz noch Eindämmung arroganter Bevormundung, sondern eine »Sprach-Reform«. »Verbesserungsvorschläge« werden fortan »Qualitätsvorschläge« sein, »Arbeitskreise« sollen »Workshops« und »Rückkopplung« soll »Feedback« heißen. Hinter »Ässessment-Center« verbirgt sich ein gruppenbezogenes Auswahlverfahren, und der Haushalt heißt in Neusprech »Budget«. Läßt sich die Bedeutung von »Coaching« und »Sale-and-lease-back-Verfahren« noch erraten, wird es hoffentlich ein Geheimnis der »Reformer« bleiben, was »Kontra-Management«, »Job-enrichment«, »Job-enlargement«, »Facility-Management« oder »Output-Orientierung« sind.
Wo Finanzsprache zum Amtsdeutsch wird, mutiert der Bürger zum »Kunden«, wird das Aufgabenspektrum einer Behörde zum »Produktkatalog«, sind Fachbereiche wie Jugend, Wohnen oder Verkehr »Produkte«. Die Verwaltung selbst gliedert sich wie eine Imbiß-Kette, nennt
sich je nach Ebene »Serviceeinheit«, »Leistungs-«, »Verantwortungszentrum« oder »Steuerdienst«.
Hinter dem 3. VerwRefG verbergen sich ein völlig neues Regelungswerk sowie vier Änderungsgesetze. Viele Vorschriften seien - isoliert betrachtet - »akzeptabel«, findet Schilke. Die gleichzeitige Anwendung aller Regelungen mit fest vorgegebenen Fristen könne jedoch dazu führen, daß die normale Verwaltungsarbeit »zumindest zeitweilig weitgehend lahmgelegt wird«. Wer die Gründlichkeit
deutscher Behörden bei der Umsetzung derartiger Vorschriften kennt, müsse für die Zukunft der Verwaltung »Schlimmstes« befürchten.
Dabei sei eine »echte Reform« der Verwaltung dringend erforderlich, wehrt sich Schilke gegen den Vorwurf der Reformfeindlichkeit. Bis zum Jahr 2001 wird die Zahl der Vollzeitstellen von einst 207 700 (1992) auf 142 000 reduziert sein. Gleichzeitig wächst der »Produktkatalog« stetig an. Es droht der Kollaps.
Doch statt Bürokratie-Abbau zu forcieren, würde es in der Verwaltung mit dem neuen Gesetz so richtig kompliziert: Wenn eine »Serviceeinheit« etwas von einer anderen oder gar von einer fremden Behörde will, muß eine »Servicevereinbarung« getroffen werden, in der vertraglich geregelt ist, welche Leistung zu welchem Entgelt zu erbringen ist. Früher lief so etwas unter »Amtshilfe«.
Sicherlich gutgemeint: die Pflicht, periodisch die Mitarbeiter zu befragen. Erforscht werden sollen unter anderem Arbeitsbeziehungen und -Zufriedenheit, aber auch, ob das leitende Personal etwas taugt (»Führungskräfte-Feedback«). Ebenfalls der Lust am Job dient das R.otationsprinzip. Die Verwaltungsangestellten sollen sich künftig alle fünf Jahre auf einem neuen, gleichwertigen Aufgabenfeld tummeln. »Ein Jurist dürfte dann nach jahrelanger, trockener Beschäftigung mit Gesetzestexten auch mal die Statik einer Brücke berechnen«, so Schilke boshaft.
Was Schilke ärgert, manch »Kunden« jedoch freuen dürfte: Wendet bürger sich mit Hinweisen oder Beschwerden, »auch ohne Bezug zu konkreten Vorgängen«, an Behörden, müssen diese das Schreiben »unverzüglich beantworten«. »Beschwerde-Management« nennt sich diese Querulanten-Lex im Jargon der Gesetzes-Texter, die wohl als Bürger-Placebo gedacht ist.
Tatsächliche »Außenwirkung« findet sich unter Paragraph 6, Absatz 4 des Gesetzes unter dem Stichwort »Bürgerorientierung«. Demnach sollen sich die Öffnungs- und Sprechzeiten »unter Beachtung der Wirtschaftlichkeit« am »Kundenbedürfnis« orientieren. Bis dieses ermittelt ist, »mindestens jedoch bis zum 31. Dezember 1999«, soll der Donnerstag »Dienstleistungstag« werden, an denen .»Behörde^ mit. unmittelbarem Bürgerbezug« bis 20 Uhr geöffnet bleiben. Vorausgesetzt, die Abgeordneten beherzigen Schilkes Ratschlag nicht und segnen das Werk ab.
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