Gehirnsignale sollen Maschinen steuern und gelähmten Menschen mehr Handlungsfreiheit geben
Robert Meyer
Lesedauer: 4 Min.
Was können Gedanken bewirken? Wenn sie nicht in Taten umgesetzt werden, wenig. Genau diesen Weg sollen künftig neuartige Geräte ? so genannte Mensch-Maschinen-Schnittstellen ? abkürzen. Mit ihrer Hilfe soll der Gedanke Materie bewegen. Damit rückt die Erfüllung einer alten Vision näher: Gedanken lassen eine Handprothese zugreifen, Querschnittsgelähmte steuern mit der Kraft ihrer Gedanken Rollstühle. Lenken durch Denken im Alltag.
Noch gibt es gerade mal erste Ansätze dieser Technik, doch die sind schon vielversprechend. Noch bewegt die Kraft der Gedanken nur Zeichen auf dem Computerbildschirm. So haben Neurologen der Freien Universität Berlin und Informatiker vom Fraunhofer-Institut für Rechner-Architektur und Softwaretechnik in Berlin-Adlershof ein Programm entwickelt, bei dem der Mauszeiger seine Befehle direkt vom Gehirn entgegen nehmen kann.
Die Schnittstelle zwischen Gehirn und Computer, das so genannte Berliner Brain-Computer Interface (BCI), entstand in einem Projekt, das von dem Neurologen Gabriel Curio und dem Informatiker Klaus-Robert Müller geleitet wird. Die mit dem Projekt beschäftigen Wissenschaftler wissen von einer Anzahl von Bewegungen, wo in der Großhirnrinde die Signale dafür entstehen. Die mit 128 Elektroden an der Kopfhaut abgenommenenen Ströme des Gehirns werden mit Hilfe eines Computerprogramms in Steuerungssignale übersetzt.
Das ist allerdings gar nicht so einfach, denn in unseren Gehirnen tobt meist ein Gewittersturm aus vielfältigen Eindrücken. Die Software muss erst lernen, die sich überlagernden Gehirnströme auseinander zu halten. Trotzdem bedarf es hoher Konzentration und präziser Vorstellungskraft, um den Cursor auf dem Bildschirm per Gedanken zu steuern.
Die Filterung der Hirnströme ist ein wenig vergleichbar mit der Aufgabe, sich bei einer Party im Durcheinander der vielen Gespräche und bei dröhnender Musik mit einem Menschen zu unterhalten. Da ist das menschliche Hirn in der Lage, alles andere beiseite zu schieben. Ein Informationskanal baut sich auf, die Aufmerksamkeit ist fokussiert und das Hintergrundrauschen nimmt ab. Doch was im Gespräch einfach ist, weil wir es von Kindesbeinen an geübt haben, ist am Computermonitor schon deutlich schwieriger.
Um einen Cursor überhaupt per Gedanken steuern zu können, bekommen Testpersonen eine »Badekappe« mit Elektroden auf den Kopf. Jede Elektrode ist ein Wächter, der einen Teil der Großhirnrinde unter der Schädeldecke abtastet. Kabel führen von der Elektrodenkappe zu den Rechnersystemen. Die Konzentration darauf, zum Beispiel den Cursor nach rechts zu bewegen, erzeugt ein einzigartiges Muster an Gehirntätigkeit, das von der Software interpretiert und als Steuerbefehl umgesetzt wird. Anders als bei früheren Versuchen ist bei dem Berliner BCI nicht die Konzentration des steuernden Menschen entscheidend. Denn die Filterung der »Party-Geräusche« übernimmt die Software, versichert Gabriel Curio.
Wohin das Ganze praktisch gehen soll, zeigen Versuche eines Teams um José del R. Millán vom Dalle Molle Institute for Perceptual Artificial Intelligence im Schweizerischen Martigny. Sie entwickeln Steuersoftware, die Bewegungsvorstellungen aus den Hirnströmen ausfiltert. Einigen Probanden gelang es damit bereits, einen Spielzeugroboter durch eine Wohnung zu steuern. Irgendwann ? so hoffen die Forscher ? klappt das auch mit einem Rollstuhl.
Experimente dieser Art gibt es schon seit längerem. Auch Affen können einen Bildschirmcursor nur durch ihre Gedanken bewegen. In den USA zum Beispiel lernten Rhesusaffen, einen Greifarm mit ihren Hirnströmen zu lenken, allerdings hat man den Tieren dafür extra mehrere hundert Elektroden ins Gehirn verpflanzt. Bei uns wird das aus ethischen Gründen abgelehnt.
Der Hirnforscher und Computerexperte Rainer Goebel aus dem niederländischen Maastricht ist noch einen Schritt weiter gegangen. Seine Testpersonen haben keine Elektrodenkappe auf dem Kopf, und es sind auch keine physischen Eingriffe an ihnen vorgenommen worden. Goebels Probanden liegen in einem Magnetresonanz-Tomographen (MRT) und spielen das Computerspiel Pong. Dabei müssen die Spieler auf dem Bildschirm einen Ball mit Hilfe zweier Balken, die sich vertikal bewegen lassen, hin und her schießen. Goebels Testpersonen bewegen die Balken allein durch ihre Gedankenkraft. Bis das funktioniert, ist ein langes Training nötig. Erst einmal muss gelernt werden, sich Gegenstände, Gesichter oder Bewegungssituationen vorzustellen.
Wie die gewöhnliche MRT arbeitet auch die so genannten funktionelle MRT mit hochfrequenten Magnetfeldern, die die Atomkerne in Molekülen der Körpergewebe in messbare Schwingungen versetzen. Bei der funktionellen MRT kann so der Sauerstoff und damit die Stoffwechselaktivität im Gehirn eines Menschen exakt vermessen werden, was wiederum Auskunft über den Erregungszustand einzelner Hirnregionen gibt. Bislang dauerte die Datenauswertung allerdings zu lange, um »live« ins Gehirn zu gucken. Goebel hat das geändert, er beschleunigte die Software für die MRT-Analyse. Ergebnis: Jetzt sind Hirnaktivitäten praktisch sofort am Schirm zu sehen.
Ein Schritt zum echten Gedankenlesen oder gar hin zur kompletten Manipulation des Bewusstseins? Davon sei man noch weit entfernt, meint der niederländische Hirnforscher. Die Grundzüge dafür aber sind gelegt. Ob man sich ein Haus vorstellt oder einen Ball, irendwann lässt sich das aus den Signalen des Gehirns herauslesen.
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