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Bloß keine Beitragssenkung

Wie die BKK Unterweser das Geld ihrer Mitglieder lieber in eine Immobilie und hohe Abfindungen steckt Krankenkasse Von Peter Vogel und Ursula Hoppe

  • Lesedauer: 5 Min.

In Bremen könnte eine Krankenkasse spürbar die Beiträge senken. Doch sie tut es nicht. Mit Rückendeckung des Arbeitssenators.

Seit Jahren streitet die Politik um den richtigen Weg der Kosteneinsparung im Gesundheitswesen. Konsequenz: die Reformansätze des scheidenden Gesundheitsministers Horst Seehofer (CSU) haben das soziale System der Bundesrepublik schwer beschädigt, ohne daß die Lohnnebenkosten nennenswert gesenkt wurden. Krankheit ist inzwischen zum teuren Luxusgut verkommen, Zahnersatz für viele Menschen unerschwinglich geworden.

Die Betriebskrankenkasse (BKK) Unterweser mit Sitz in Bremen könnte die Beitragssätze für ihre 30 000 Mitglieder spürbar senken, weil sie mehrere Millionen Überschüsse angesammelt hat. Doch der Verwaltungsrat der Kasse will das zahlende Volk finanziell nicht entlasten und plant statt dessen ein üppiges Verwaltungsgebäude für rund drei Millionen Mark - ohne daß es dafür Bedarf gibt. Denn die etwa 50 Mitarbeiter sind optimal untergebracht.

Der Crash ereignete sich ausgerechnet am Tag der Arbeit: Am 1. Mai 1996 wurde das endgültige Aus für die Großwerft Bremer Vulkan AG besiegelt. Konkurs! 23 000 Beschäftigten des einst weltweit operierenden Werftenverbundes drohte über Nacht Arbeitslosigkeit. Nach der Pleite der AG Weser Anfang der 80er Jahre stand die Hansestadt Bremen zum zweiten Mal vor einer katastrophalen Massenarbeitslosigkeit. Allein in Bremen-Vegesack verloren 2000 Schiffbauer auf einen Schlag ihren Job, dazu kamen noch einmal doppelt so viele aus den Zulieferbetrieben. Was von den Ruinen des Konzerns blieb, war eine funktionsfähige BKK mit damals mehr als 7000 Mitgliedern.

Die BKK Bremer Vulkan, früher das Sahnestück der Betriebskrankenkassen in der Bremer Metallbranche, hat sich seither prächtig entwickelt. Innerhalb von nur zwei Jahren fusionierte sie mit den BKK der Bremer Stahlwerke, der Norddeutschen Steingut, der Norddeutschen Wollkämmerei sowie des Maschinenbauunternehmens Dewers, das inzwischen Konkurs angemeldet hat. Werner Müller, seit Sommer Vorsitzender der BKK. »Wir sind heute die größte offene Betriebskrankenkasse in der Region.«

Die Fusion wurde damals eingefädelt vom ehemaligen Geschäftsführer der

BKK Bremer Vulkan, Burkhard Zimmer Der fiel dadurch eine Treppe höher und stieg 1997 zum Vorsitzenden der heutigen BKK Unterweser auf. Mit von der Partie war auch der ehemalige Betriebsratsvorsitzende des Bremer Vulkan, Hasso Kulla. Das IG Metall-Mitglied war bis zuletzt Verwaltungsratsvorsitzender der BKK Bremer Vulkan und hat beizeiten einer Gehaltserhöhung von Zimmer noch vor der Fusion der fünf Kassen zugestimmt, angeblich von 145 000 auf 210 000 Mark pro Jahr. Seinen Rücktritt als Betriebsratsvorsitzender kalkulierte Kulla - wie von Arbeitskollegen erwartet - nicht etwa nach der Werftenpleite am 1. Mai 1996, sondern erst ein Jahr später Damit konnte er nahtlos in den neuen Kassenverbund überwechseln. Heute ist Kulla in der BKK Unterweser zuständig für den Bereich Marketing mit einem Jahresgehalt, von dem ehemalige Vulkan-Arbeiter nur träumen können. In Bremen ist es ein offenes Geheimnis, daß Kulla längst ein Angebot in der Tasche hatte, als er mit den Vulkan-Arbeitern auf die Straße ging, die um ihre Existenz kämpften.

Mit einem Beitragssatz von 12,2 Prozent ist die BKK Unterweser heute die kostengünstigste Kasse in der Region; deutlich günstiger als die 160 000 Mitglieder starke AOK mit 13,5 Prozent und

die an Mitgliedern gleichstarke Bremer Handelskrankenkasse mit 13,2 Prozent.

Nun könnte die BKK Unterweser ihren Beitragssatz weiter senken, doch das ist politisch nicht gewollt. Statt die 30 000 Mitglieder finanziell zu entlasten und mit geringeren Arbeitgeberbeiträgen eine Senkung der Lohnnebenkosten zu befördern, plant der Kassenverbund im Bremer Industriepark ein Verwaltungsgebäude, frei nach dem Motto: Irgendwo müssen wir das Geld unterbringen. Strittig ist nur noch, ob es sich um einen Neubau oder um den Kauf eines Gebäudes handelt.

Zitat aus der vertraulichen Niederschrift einer außerordentlichen Sitzung des Verwaltungsrates der BKK vom 10. 6. 1998. »Im Anschluß an das Gespräch vom 28. 5 1998 wurde dem Vorstand gegenüber geäußert, daß seitens des Senators für Arbeit ein Kauf lieber gesehen würde, da die Kasse über ausreichende Finanzmittel verfügt und ggf. eine Beitragssenkung dadurch vermieden werden könnte.«

Im Klartext. Der Bremer Arbeitssenator, von Amts wegen als Aufsicht für die BKK zuständig, rät zum Kauf eines überflüssigen Verwaltungsgebäudes, um überschüssiges Kapital zu binden und eine Beitragssenkung zu umgehen! Sylvia Bohlen-Schöning vom Amt des

Bremer Arbeitssenator bestätigt die Empfehlung: »Eine Beitragssenkung wäre ein kurzfristiger Effekt, denn es könnte sein, daß der Beitrag nach nur einem halben Jahr wieder erhöht werden muß. Wir wollen eine langfristige Beitragssicherheit.«

Ähnlich argumentiert auch der neue Vorsitzende der BKK Unterweser, Werner Müller- »Nach unseren Wirtschaftlichkeitsberechnungen ist der Bau eines Verwaltungsgebäudes die günstigste Alternative.« Eine Beitragssenkung, so Müller, könnte für die BKK »tödlich« sein, »weil wir nach einem Jahr vielleicht wieder erhöhen müssen und die Rücklagen dann weg sind«.

Vorläufig letzter Akt an der Unterweser- BKK-Vorsitzender Zimmer ist vor einigen Monaten wegen angeblicher gesundheitlicher Beschwerden ausgeschieden, mit einer lukrativen Abfindung. Die Rede ist von vier Jahresgehältern, also mehr als einer halben Million Mark - Geld aus Mitgliedsbeiträgen. Und auch Hasso Kulla, Ex-Betriebsratsvorsitzender des Bremer Vulkan, hat sich in den höheren Gehaltsgruppen eingerichtet. Neben seinem Einkommen als Angestellter der BKK Unterweser bezieht er auch noch rund 6000 Mark Diäten - als Mitglied der SPD-Fraktion in der bremischen Bürgerschaft. Darauf kann Kulla offenbar auch in Zukunft nicht verzichten. Deshalb will er sich erneut für die Bürgerschaftswahlen im nächsten Jahr aufstellen lassen, und er fordert von seinen Genossen im SPD-Unterbezirk Bremen-Nord, ihm dafür grünes Licht zu geben.

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