- Politik
- Ein Journalist im Zwielicht: Berthold Jacob »Ich bin Träger
wichtiger
Geheimnisse...« Von Stefan Berkholz
ND-Foto: Burkhard Lange
gegen Hitler, das war die Taktik. Geisel des Führers zwar, aber mächtig durch die öffentlichen Reden der anderen, drau-ßen in der Freiheit, so die Überlegungen. Der glückliche Ausgang des Falles Jacob schien diese Argumente zu bestätigen. Dennoch war das ein Spiel mit dem Feuer. Hatte womöglich Berthold Jacob wider Willen eine besondere, eine schädliche Rolle im Fall Ossietzky gespielt? Als exponierter, höchst verhaßter politischer Gegner der Nazis schlug er die Trommel für das wehrlose Opfer, setzte seinen eigenen Fall wiederholt in Beziehung zu Ossietzkys Schicksal. Die Hilfsorganisation der Quäker hingegen hatte stets vor »Anti-Nazipropaganda« in der Öffentlichkeit gewarnt. Quäker bemühten sich auf leisen, diplomatischen Wegen, KZ-Gefangene freizubekommen.
In einer bis heute undurchsichtigen Affäre geriet Jacob 1936/37 zwischen alle Fronten. Ausführlich hatte er über die Spitzeltätigkeit eines deutschen Sozial-
Das Grab von Berthold Jacob-Salomon auf dem Jüdischen Friedhof Nr 1 Weißensee
Meinung«. Daran gelte es anzuknüpfen, »einzig und allein der internationale Kampf der Druck der öffentlichen Meinung« mache »auf Hitler und seine Leute« Eindruck. »Man kann die Gefangenen nur retten, wenn man mit der äußersten Kraft den Kampf aufnimmt.«
Das meinte Trommeln um jeden Preis. Und jetzt vor allem für Carl von Ossietzky, der zum Symbol aller KZ-Gefangenen geworden war Warum aber gelang es dann nicht, Ossietzky frei zu bekommen? Er war nicht Jude wie Jacob; er hatte auch nicht mehr öffentlich provozieren können, war mundtot gemacht seit dem Reichstagsbrand im Februar 1933. Warum mußte Ossietzky weiter im KZ leiden, insgesamt drei Jahre lang?
Der Fall Berthold Jacob hatte die verstreuten politischen Flüchtlinge zutiefst beunruhigt. Sie mußten nun auch um ihr eigenes Leben fürchten. »Da ist ja keiner von uns mehr sicher«, empörte sich der Schriftsteller Ernst Toller bei einem Be-
Sonderschichten. Jacobs Verschleppung hatte auch mit diesen Planungen zu tun. Jacob bestritt hartnäckig, geheime Verbindungen nach Deutschland unterhalten zu haben. Seine Veröffentlichungen beruhten allein auf der Auswertung allgemein zugänglichen Materials, beteuerte er auch im Verhör vor der Gestapo. Er sammele einfach Statistiken, amtliche Gesetzblätter, militärpolitische Fachzeitschriften und ähnliches. Und als er seine Methode einem Gestapo-Kommissar an Beispielen erläuterte, »als einige Proben aufs Haar bewiesen hatten, daß meine Angabe richtig war«, erzählte Jacob später, »mußte er mir knirschend zugeben, daß ich die Dinge eben von Grund auf kennte«. Jacob kam nach einem halben Jahr tatsächlich wieder frei, die diplomatischen Bemühungen der Schweiz hatten Erfolg. Die Standfestigkeit ihrer Politiker, die kriminalistische Ader eines Staatsanwalts und schließlich das Geständnis Wesemanns ließen den Nazis
Fememord in Basel?« - »Genosse Jacob verschwunden« - »Kopfjäger im Dienste der Nazi«: Die Schlagzeilen überschlugen sich, als die internationale Presse Wind bekommen hatte von einem (bis dahin) ungeheuerlichen Fall... Auf Schweizer Boden, in Basel, nahe der Grenze zu Deutschland, war am 9 März 1935 der deutsche Journalist Berthold Jacob-Salomon betäubt, in ein Auto verfrachtet und in die Reichshauptstadt entführt worden. Eine Nacht-und-Nebel-Aktion, eine rüde Attacke auch auf die Unverletzlichkeit eines eigenständigen Landes. Die Diplomatie reagierte, die Schweiz wehrte sich. Das internationale Schiedsgericht in Haag wurde angerufen: Hitler-Deutschland am Pranger
Berthold Salomon, der sich als Publizist Berthold Jacob nannte, war nicht irgendein Journalist. Frühzeitig hatte er sich in den militärischen Kreisen der Weimarer Republik verhaßt gemacht. Er war der Militärexperte auf pazifistischer Seite, und Lion Feuchtwanger setzte ihm später ein Denkmal in der Literatur Als Friedrich Benjamin tauchte Jacob in seinem Roman »Exil« auf. Er war einer der Jüngsten unter den pazifistischen Publizisten der Nachkriegszeit, am 12. Dezember 1898 in Berlin-Wilmersdorf geboren. Ungeheuer ehrgeizig, besessen, getrieben von einer Mission und allergisch gegen jede Form der Kumpanei. Unbequem auch für politische Freunde. Jacob mischte sich ein in die militärpolitischen Debatten seiner Zeit. 1925 beispielsweise zeichnete er eine Denkschrift über »Deutschlands geheime Rüstungen« und zwang damit den Reichstag zur ausführlichen Stellungnahme. Es nutzte nichts. Jahre später blieb Jacob die zweifelhafte Genugtuung zu sehen, wie dieser geheime Organisationsplan der Reichswehr »tatsächlich von 1933 bis 1935 bis auf den I-Punkt exekutiert« wurde. Jacob entlarvte auch als erster das demokratiefeindliche Wirken von Reichsanwalt Jörns. Als Kriegsgerichtsrat hatte Jörns 1919 die Mörder von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gedeckt, Protokolle gefälscht, die Wahrheit vertuscht. Jacob war zehn Jahre später in die Archive gegangen und hatte nach einigem Stöbern neue Einsichten erlangt. Jörns mußte gegen Jacobs Artikel klagen, doch er verlor den Prozeß in mehreren Instanzen, wurde, laut Jacobs Aussage, vom Dienst suspendiert. Auch dies freilich nur ein vorübergehender Erfolg. Unter Hitler zählte Jörns zu den Anklägern am Volksgerichtshof.
Anfang der 20er Jahre hatte Jacob in der radikaldemokratischen »Berliner Volks-Zeitung« Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky kennengelernt. Das, was Tucholsky stets beklagt hatte - »Ich habe Erfolg, aber keine Wirkung« -, bei Jacob war es eher umgekehrt. Sein Name wurde weniger bekannt, doch seine Recherchen führten unter anderem dazu, daß ein Militarist aus vorderster Linie das Feld räumen mußte: Im Oktober 1926 wurde Hans von Seeckt, General im Ersten Weltkrieg, als Chef der Heeresleitung entfernt. Jacob hatte verschiedene Verstöße gegen den Versailler Friedensvertrag nachweisen können. Mehrere Verfahren gegen Jacob wegen Landesverrat oder Beleidigung der Reichswehr sind aktenkundig geworden, eine sechswöchige Haft, zwei Verfahren auch gemeinsam mit Carl von Ossietzky, dem verantwortlichen Redakteur der »Weltbühne«.
Berthold Jacob hatte früher als andere die Nase voll von seiner Heimat. Im Juli 1932 bereits entzog er sich den Verfolgungen, ging ins selbst gewählte Exil nach Straßburg. Zusammen mit Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann, Kurt Tucholsky und 29 weiteren Persönlichkeiten steht Berthold Jacob auf der ersten Ausbürgerungsliste der Nazis. Als Staatenloser war
seine Existenz damit nun noch gefährdeter Doch Jacob ließ sich nicht beirren, arbeitete unverdrossen weiter Im Juni 1934 nahm ein Mann Kontakt zu Berthold Jacob auf, der ihn fast das Leben gekostet hätte: Hans Wesemann, ein Hochstapler und agent provocateur in Diensten der Nazis. Wesemann galt in Exilantenkreisen als zwielichtig, Jacob war namentlich vor ihm gewarnt worden, und er wußte, wie gefährlich er selbst im Ausland lebte. »Es wimmelt überall von Spitzeln«, schrieb er im Mai 1933 einem Kollegen. Trotzdem blieb Jacob eigenartig leichtgläubig gegenüber Wesemann. Er kannte ihn als Journalist von sozialdemokratischen, pazifistischen Zeitungen, so auch von der »Weltbühne«, und erhoffte sich einen Verbündeten in der Fremde. Auch ein neuer Paß mußte beschafft werden.
Am 9 März 1935 schnappte die Falle zu, am nächsten Tag fand sich Jacob in der Reichshauptstadt wieder Gestapo-Polizeigefängnis, Prinz-Albrecht-Straße 8, dann Columbiahaus in Berlin-Tempelhof, schließlich Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit. Vor dem Volksgerichtshof wurde Jacob vernommen. »Verbreitung von Greuelnachrichten«, lautete der Vorwurf, Landesverrat. Das mußte, wie der ausgebildete Jurist Tucholsky befürchtete, den Tod bedeuten. Und Deutschland rüstete offen zum Krieg, eine Woche nach Jacobs Kidnapping wurde die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht verkündet, die Waffenfabriken fuhren
offenbar keine andere Wahl, als Jacob freizulassen. Am 8. September 1935 verfügte Hitler seine Entlassung.
Berthold Jacob war wie durch ein Wunder noch einmal davongekommen. Nun stand er vorübergehend im Rampenlicht, wurde als Held der deutschen Emigration herumgereicht auf Podien und internationalen Bühnen. In einer öffentlichen Veranstaltung in Paris gab Jacob im Oktober 1935 die Parole für die kommende Zeit vor- »Ich weiß, daß ich es vor allem der Presse verdanke, wenn ich heute frei bin«, verkündete er der deutschen Emigration. »Von dem Moment ab, als die öffentliche Meinung alarmiert war, hörte meine Folter auf, und in meiner Zelle konnte ich feststellen, daß je mehr die Rede wuchs und je mehr die Presse berichtete, mein Schicksal sich besserte.« Dieser »Sieg über das Hitlerregime« sei »ein Sieg der öffentlichen
such in Paris. »Nichts leichter als eine Entführung!« Doch noch etwas anderes beunruhigte im kleinen Exilantenkreis. Die Journalistin Hilde Walter, federführend tätig in der Friedensnobelpreiskampagne für Ossietzky, klagte im März 1935, kurz nach der Entführung Berthold Jacobs: »Abgesehn von der furchtbaren Sache an sich, fürchte ich auch Rückwirkungen auf Ossietzky und die andern, die noch drin sind. (...) Meine große Sorge ist (...), daß (...) alles, was wir für Ossietzky gemacht haben, haarklein dort bekannt geworden ist und daß man ihn auf diese Weise nie rauslassen wird.« Seit zwei, drei Monaten war die Friedensnobelpreiskampagne für Ossietzky auf vollen Touren. Man hoffte, ihn auf diese Weise aus dem KZ frei zu bekommen. Öffentlicher Druck auf die Nazis, Legendenbildung, Stilisierung zum Helden, Märtyrer, zum Übermächtigen Gegner
demokraten berichtet - der Fall schlug auf ihn zurück. In einem Rundschreiben wurde Jacob als Agent, Fälscher, Verleumder bezeichnet. Und Kommunisten meinten ihn, wenn sie vom »Kampf gegen die Schädlinge, Spitzel und Denunzianten« sprachen. Der einsame Kritiker stand im Abseits. Kurz darauf wurde er gejagt. Am 1. September 1939, unmittelbar nach der Generalmobilmachung in Frankreich, wurde Jacob verhaftet und ins Internierungslager Le Vernet verschleppt. Lebensbedrohlich wurde es für deutsche Exilanten im Juni 1940, als Frankreich kapituliert hatte und sich im Waffenstillstandsabkommen verpflichtete, mißliebige Deutsche auszuliefern. »Unsere Lage ist materiell verzweifelt«, bittet Jacob im September 1940 für sich und seine Frau um Hilfe, »Auswanderung nach USA ganz ungeklärt«. Im März 1941 schreibt Berthold Jacob an Oswald Garrison Villard in New York, Herausgeber der Zeitschrift »The Nation«: Beim amerikanischen Konsulat sei er angeschwärzt worden, man sage, er diene dem französischen Geheimdienst. Alles Quatsch, behauptet Jacob, und sieht die Drahtzieher vor allem bei den Kommunisten, »die mir nie verziehen haben, daß ich seit dem Jahre 1925 nicht aufhörte, auf die geheimen Beziehungen zwischen Reichswehr und Roter Armee hinzuweisen«.
Jacob betrachtete sich als Opfer einer internationalen Verschwörung militanter Staaten, weil er »ungefähr der einzige überlebende Militante der deutschen Opposition« sei, »der seit 20 Jahren unaufhörlich die Strömungen bekämpft, die zu diesem Kriege geführt haben«. Und er hatte offenbar Zugang zu brisantem Spionagematerial bekommen, denn zwei Monate später schrieb er dem britischen Publizisten Wickham Steed: »Ich bin Träger wichtiger Geheimnisse...« Er, Jacob, könne auch aufzeigen, wie die deutsche Spionage »innerhalb der entscheidenden frz. Institutionen« funktioniert habe, ja bis »nach England hinüber« wirke. Er wolle all dies veröffentlichen, »solange hierzu noch Zeit ist«.
Jacob kam nicht mehr dazu. Er konnte zunächst fliehen, wurde mehrfach inhaftiert, landete schließlich, im August 1941, in Lissabon, hoffte, nun von dort in die Freiheit zu gelangen, aus Europa zu entkommen. Seine Pläne scheiterten auf brutale Weise, seine Dokumente gelten als verloren. »Scheinbar kriegen nur SP Bonzen ein Visum«, schrieb ihm der Freund Karl Retzlaw aus London und bestätigte Verdächtigungen, nun von sozialdemokratischer Seite: »Der Parteivorstand der SP verbreitet Verleumdungen über Dich (...), sie haben Einfluß, wir nicht.« Und drei Wochen später- »Es war eben unser, besonders Dein Unglück, nicht einer Partei anzugehören. Hier muß man irgendwo angehören, dann darf man das dümmste Schwein von der Welt sein, aber man ist angesehen.« Am 25. September 1941 wurde Berthold Jacob in Lissabon auf offener Straße verhaftet und ein zweites Mal nach Nazideutschland verschleppt.
Jacob blieb verschollen.
Nach dem Krieg nahm Robert Kempner die Spur seines ehemaligen Bekannten wieder auf. In seiner Eigenschaft als amerikanischer Anklagevertreter in den Nürnberger Prozessen rekonstruierte er die letzte Zeit des Entführten. Über Spanien, Frankreich und Belgien sei Jacob nach Deutschland geschafft worden, der deutsche Polizeiattache in Madrid, Winzer, habe die Aktion arrangiert. Das internationale Netz funktionierte also, wie Jacob es befürchtet hatte. Endstation: Gestapo-Gefängnis, Prinz-Albrecht-Stra-ße 8. Diesmal gab es kein Entrinnen mehr Das Ende Berthold Jacobs ähnelte dem Carl von Ossietzkys, hieß es in einem Artikel der New Yorker Emigrantenzeitung »Aufbau« vom Juni 1947, beide habe man »offensichtlich aus besonderer Grausamkeit nicht sofort hingerichtet, sondern im Gefängniskrankenhaus zu Tode hinsiechen lassen«. Todesursache? Berthold Jacob sei »schwer tuberkulös mit hochgradigen Lungenödemen (...) als Gefangener der Gestapo« gestorben. Neun Tage nach seiner Einweisung ins jüdische Krankenhaus Berlin, am 26. Februar 1944, »unter dem Zeichen zunehmender Herzmuskelschwäche«.
Jacob wurde 45 Jahre alt. »Er ist auf dem jüdischen Friedhof Weißensee Nr. 1 Reihe 17-111-367 begraben.« Die Grabstelle ist nicht leicht zu finden. Ein kleiner, schmuckloser Stein bloß zwischen den langen Reihen hoher, repräsentativer Grabstellen. Kein Hinweis, kein Wegweiser Keine Gedenktafel, kein Straßenname, nichts. Auch kein Buch, keine Ausstellung zum Gedenken. Texte von Berthold Jacob hat man sich mühsam in Bibliotheken und Archiven zusammenzusuchen. Die Geschichte ist über den Geschichtsschreiber hinweggegangen.
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