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  • Politik
  • Hamlet am Badischen Staatstheater Karlsruhe

Hitze und Asche

  • Klaus Pfützner
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Bühne kann leerer nicht sein. Ein riesiges Loch öffnet sich mit freier Sicht in die Scheinwerferkolonnen, die für drei Stunden die Regie übernommen zu haben scheinen: Viel kaltes Blau und Weiß, dann ein Flecken Rot oder warmes Gelborange dort, wo Hamlet seiner Liebe zu Ophelia oder Nachdenklichkeit über eine mörderische Welt Ausdruck verleiht.

Durchsichtige Plastehänger schließen die Bühne ab. Dahinter stehen und hasten Silhouetten von Gestalten, immer präsent; sie beschnüffeln den Prinzen, was er gegen die Hierarchie der Macht im Schild führt. Ein schwarzer Vorhang bewegt sich über die Bühne. Die Musik gibt Struktur und Grundstimmung der Szene mit orchestraler Fülle. Der Text (Übersetzung Heiner Müller) ist mit Sorgfalt auf den Sinn gebracht und von den Darstellern messerscharf artikuliert. Wenig expressive Körperaktion, für die Regisseur Peter Schroth bisher stand. Überraschung also am Badischen Staatstheater mit diesem »Hamlet«.

Die Herren vom dänischen Hof agieren im Nadelstreifen-Look, kühl, mit offiziellem Ton und die Lüge wohlgesetzt auf der Zunge.

König Claudius (Andreas Klaue) residiert mit beherrschter Geste, echtes Gefühl kaschierend, ein Politgauner kleineren Formats. Seine angeheiratete Gertrud (Karin Schroth) taucht aus geistiger Abwesenheit für Sekunden auf und belebt sich, wenn ihr Sohn Hamlet auftritt. Polonius (Fritz Truppe) liest Laertes seine Verhaltensregeln für Paris aus einer Akte vor, ein Beamtentyp mit verklemmtem Gefühl und Humor

Hamlet ist im Gegensatz zur kalten, versteiften Männerwelt von vitaler, provozierend lebendiger Jugendlichkeit (Sebastian

Kreutz) und das bisher Beste, was ich von diesem jungen Darsteller sehen konnte. Sein Hamlet ist unfähig zur Rache am ermordeten Vater - wegen seiner spontanen, ungezügelten Natur, nicht, wie bei Shakespeare, durch mordscheuende Humanität. Er sinnt nicht über Büchern, sondern zappt sich desinteressiert durch die Fernsehprogramme. »Sein oder Nicht-Sein« probiert er dreimal, dann hat er es für sich entdeckt und fesselt die Zuschauer mit der letzten, gedanklich »stimmigen« Version. Kreutz meidet dabei psychologische »Entwicklungen« der Figur, er zeigt Variationen einer kraftvollen, chaotischen Natur, die an den Intrigen dieser Welt zerbricht.

Aus Ernüchterung fällt dieser Hamlet in Aufruhr, aus emotionaler Unmittelbarkeit in Apathie oder gespielten Wahnsinn, Hitze und Asche in einem. Infantil und hilflos dagegen die Ophelia Stephanie Harrers, seelisch gebrochen und zitternd-gehorsam dem Vater gegenüber - ein ungleiches Paar, in einer Szene jedoch von berührender Innigkeit. Da entdeckt Hamlet, daß sie »käuflich« geworden ist. Er wirft sie in einen Supermarkt-Einkaufswagen und karrt sie herum.

Hier wie an anderen Stellen wird die Inszenierung Schroths und Lothar Scharsichs (Ausstattung) überdeutlich, um Bezüge zur Gegenwart herzustellen: Der tote König hochgerüstet und auf goldnem Roß, Rosenkranz und Guildenstern als groteske Mafiosi-Figuren. Das ist nicht immer zwingend für diese Inszenierung und die geschlossene, spielerisch überzeugende Ensembleleistung, die mehr als regionale Aufmerksamkeit verdienen.

Ein beeindruckender Schluß beendet den Abend: Norwegs Fortinbras, halbtot im Rollstuhl, nimmt das Land in Besitz (Text von Herbert Spigneur). Übrig bleiben ein Rest geopferte Liebe und ein totes Land. Nichts bewegt sich mehr Eiszeit, meinte Heiner Müller, und man sieht sie. Nur die Plastehänger wehn.

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