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  • Politik
  • »Elements« im Berliner Friedrichstadtpalast als Tor ins Morgen

Und ewig tanzt die Revue

  • Almut Schröter
  • Lesedauer: 4 Min.

Parade der langen. Beine. Auch in dieser Revue verfehlt die Girl-Reihe ihre Wirkungnicht

Foto: Marcus Lieberenz

Dicke Menschen tanzen durchs Paradies. Das ist ja ganz was Neues. Und prompt brach zu Beginn der Premiere der neuen Revue »Elements« im Berliner Friedrichstadtpalast der Jubel darüber aus, denn das hat die Welt noch nicht gesehen. Stehende Ovationen gab es zum Schluß.

Die Schöpfungsgeschichte so wie immer und doch anders nach dem Buch von Sascha Iljinskij (Intendant) und Jürgen Nass (Regie) bravourös gefeiert. Bis Januar nächsten Jahres soll sie in der Friedrichstraße zu sehen sein. Nicht nur deshalb sehen ihre Schöpfer sie als Tor zur Revuewelt 2000. Wohltuend zum Ende des Winters entfaltet sich hier ein die Sinne erfreuendes, schillerndes Bild. Als Neuheit präsentiert sich »Stagevision«, eine Technik, die Holographien im Ausmaß von 20 mal 10 Metern in den Hintergrund der 26 Meter breiten und 52 Meter tiefen Bühne zaubert. Das Verfahren soll schon 1913 geboren worden, aber dann nicht weiter fortgeführt worden sein. So schwebt nun die Erdkugel vor den staunenden Zuschauern durchs All, Seepferdchen und Fische erscheinen im Hintergrund, ein Raumschiff nimmt seinen Weg...

Die Freunde des Friedrichstadtpalastes - Frühling, Sommer, Herbst und Winter - bestimmen Bühnenbild, Kostüme und Choreographie in vier Bildern zwischen Prolog und Epilog. Das Leben erwacht bei »Eros«, bebt in Leidenschaft mit »Passion«, schwelgt und verausgabt sich bei »Ego und findet sich bei »Dark-

ness« vor der Entscheidung, zu verebben oder Kraft zu sammeln für ein neues Erwachen im Kreislauf der Zeit.

Als gewagt wie erfolgreich erwies sich, für die verschiedenen Jahreszeiten drei Choreographen (Maik Damboldt, Gail Davies-Sigler, Brigitta Nass) einzusetzen. Auch wenn es die Arbeit von Kostümbildnerin Andrea Kleber, Bühnenbildner Bernhard Gowinkowski und Bühnen-

techniker Henry Zabel sicher komplizierter machte. Nur das Ergebnis zählt, und das ist berauschend. 44 Tänzerinnen und 23 Tänzer bieten ein vielfarbiges, technisch perfektes Bild. Damit kann Ballettdirektor Roland Gawlik, der aus seinem Stolz aufs Ensemble keinen Hehl macht, durchaus bei seiner These bleiben, einen »Schwanensee« könne man überall sehen, die Revuen im Friedrichstadtpalast

aber sind einmalig. Davon überzeugte sich auch der Revue-Neuling Uwe Maaß, der hier für die neuen virtuellen Erscheinungen sorgte. Nach seiner Rückkehr aus Las Vegas war der Skeptiker bekehrt.

Egal zu welchem Klangcharakter sich die Musik aufschwingt - sie erweckt immer den Anschein, als wachse sie aus der Atmosphäre. Komponist Frank Nimsgern bewies damit beachtenswertes Einfühlungsvermögen für den Stoff. Der junge Musiker aus dem Saarland, der noch aus Erfahrungsdefizit mit dem Vorurteil hadert, daß leichte Muse leicht zu machen sei, hat mit »Elements« in Berlin eine wunderbare Chance erhalten. Er spielt

zeitweise mit Adaptionen von Vivaldis Jahreszeiten und steigert den Titelsong als musikalisches Leitmotiv »Can you see the light« von Szene zu Szene. John Marshall singt ihn gemeinsam mit Coco Fletcher Marshall ist eigenartigerweise in die Konzeption nicht so gut einbezogen wie' die 1 bezaubernde Coco Fletcher tmd der mephistoähnliche Peter Hiller Bei der Einbindung Marshalls hakt es ein bißchen wie in der Szene mit dem Wasserballet, wo sich die Regie nicht zwischen Akteuren und Springbrunnen entscheiden kann. Peter Hillers Rolle als Zweifler und Spötter jedoch durchzieht faszinierend die Handlung. Der Revue kommt zugute, daß er ein gelernter Schauspieler ist. Erstklassig und wie immer gut plaziert sind die artistischen Darbietungen. Den meisten Applaus holten sich Äquilibrist Alexander Veligosha und die Sarychev Troupe am Trapez, die zum ersten Mal in Deutschland zu erleben ist.

Die Botschaft aus der Berliner Friedrichstraße ist, einen unerschrockenen, schwungvollen Schritt ins Jahr 2000 zu wagen und sich dabei auf Werte des Lebens wie die Liebe zu besinnen. Liebe ist in der Revue eine sichere Bank. Sie ist unbesiegbar und immer im Recht. Das haben, Iljinskij und Nass einkalkuliert und sich dabei als Schöpfer mit dem »Kontakt« zu Goethe bis an die Grenzen des Genres gewagt. Revue bis in alle Ewigkeit. Philosophie jedoch ist auf einer Revuebühne auch am Tor zum Jahr 2000 beim besten Willen nicht in Szene zu setzen. Aber Lebensfreude und Hoffnung lassen sich künstlerisch vermitteln. Diesem Anspruch stellt sich »Elements« und erfüllt ihn mit »Power of day«, wie es im Titelsong heißt.

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