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Der Stromschlag aus dem All

Die Wende zum Jahr 2000 bringt das nächste Sonnennecken-Maximum / NASA-Forscher wollen schwere Ausbrüche vorhersagen

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 5 Min.

Von Steffen Schmidt

Die meisten Deutschen dürften am 13. März 1989 andere Sorgen gehabt haben als Sonnenflecken. Doch im kanadischen Bundesstaat Quebec bekamen damals sechs Millionen Menschen einen Vorgeschmack darauf, wie leicht unsere technische Zivilisation inzwischen aus den Angeln zu heben ist. Sie mußten nämlich tagelang frieren und ihre Zimmer mit Kerzen erleuchten. Der Grund: eine besonders heftige Plasmaeruption auf der Sonne. Die von der Sonne ausgespuckte glühendheiße Plasmawolke raste innerhalb von vier Tagen zur Erde, wo sie gleich einem Sturm am irdischen Magnetfeld zerrte. Die plötzlichen Veränderungen des Magnetfeldes induzierten nicht nur Ströme in den Schaltkreisen einiger Erdsatelliten und ließ sie verschmoren, sie setzten auch das Leitungsnetz des Energieversorgers Hydro Quebec außer Gefecht, indem sie in den mehrere Tausend Kilometer langen Leitungen Spannungsschwankungen hervorriefen, die zu einer Lawine von Trafoschäden und Notabschaltungen führten.

Wie kommt es zu derartigen Sonnenstürmen? Unser Zentralgestirn ist nicht einfach eine glühende Kugel, in der mittels Kernfusion Licht und Wärme entstehen, es ist ein hochkomplexes System, von dem die Wissenschaft heute bestenfalls die Grundprozesse versteht. Einiges an der Sonne erscheint deshalb recht paradox. Während die Temperatur von 15 Millionen Grad im Sonneninneren und deren Abfall zur Oberfläche auf 5700 Grad noch plausibel ist, bereitet der Anstieg der Temperatur innerhalb der Sonnen-»Atmosphäre« schon mehr theoretische Schwierigkeiten. Denn in dort steigt die Temperatur wieder auf mehrere Millionen Grad an. Aus diesem nur bei totalen Sonnenfinsternissen zu beobachtenden Bereich nehmen auch jene koronaren Massenauswürfe (CME) ihren Ursprung, die auf der Erde dann für heftige Magnetstürme sorgen.

Zu derartigen Auswürfen kommt es dank der Magnetfelder und -wirbel an der Sonnenoberfläche und in der Korona. Die können wie eine gigantische Magnetkanone das heiße Plasma in den Weltraum feuern. Die Magnetfelder sind auch der eigentliche Grund für die Sonnenflecken, denn sie können begrenzte Oberflächenareale der Sonne um mehr als 1000 Grad abkühlen, was diese dann als Flecken erscheinen läßt. Die Häufigkeit der Flecken schwankt in mehreren, teils langen Zyklen. Der bekannteste ist der 11jährige Sonnenfleckenzyklus. Auf dem Höhepunkt der Sonnenfleckentätigkeit ist auch die Wahrscheinlichkeit von koronaren Massenauswürfen am höchsten. 1989 war ein solches Sonnenfleckenmaximum, jetzt – 10 Jahre danach steuern wir auf das nächste zu.

Das Jahr 2000 könnte also leicht noch ein zweites technisches Problem mit sich bringen. Denn anders als vor 11 Jahren hängt heute nahezu alles in den industrialisierten Ländern vom Funktionieren riesiger Kommunikationsnetzwerke ab. Während es 1989 zwar zu einzelnen Störungen im Satellitenfunkverkehr kam, gab es damals praktisch kaum Funktelefone. Heute dagegen macht die Mobiltelefonie einen wachsenden Teil des Gesamtnetzes aus. Fragt man die Betreiber großer Netze wie Mannesmann oder die Deutsche Telekom, so lautet die Auskunft: Da gab es mal Risikoabschätzungen, aber eine Bedrohung sehen unsere Techniker nicht. Schweigen im Walde auch bei den Betreibern der Stromnetze. 1989 ist weder im ost- noch im westeuropäischen Netz etwas passiert. Der Grund scheint einfach: Diese Netze sind weiter südlich gelegen. Und die Wirkungen des Sonnensturms sind wegen des Aufbaus des Erdmagnetfelds mit zunehmender Nähe zum Pol am größten. Nicht ohne Grund bekommen wir hierzulande ja auch fast nie Nordlichter zu sehen. Diese Naturerscheinung hat die gleiche Ursache, wie Sonnen-Experte Dr. Eckart Marsch vom Max-Planck-Institut für Aeronomie in Katlenburg-Lindau erklärt.

Erstaunlich nur, daß das überwiegend in unseren Breiten operierende britische Verbundnetz National Grid mit seinen 900 Umspannstationen ein neues Computersystem anschafft, das nach Angaben des Wissenschaftsmagazins »New Scientist« verspricht, die Störungen durch sogenannte geomagnetisch induzierte Strömen zu verhindern. Als geomagnetisch induzierte Ströme bezeichnet man jene elektrischen Effekte auf der Erdoberfläche, die durch das Bombardement mit Sonnenplasma ausgelöst werden. Hydro Quebec hat sich die Vorsorge begreiflicherweise noch mehr kosten lassen: Dort wurden für mehr als eine Milliarde kanadische Dollar eine Art Schutzkondensatoren in das Leitungsnetz eingebaut, die Spannungsspitzen abfangen sollen.

In den USA, deren dichtbesiedelte Teile auch teilweise recht weit nördlich liegen, hat die nationale Wetterbehörde NOAA auch die Aufgabe, das »Weltraumwetter« zu beobachten. Ein Werkzeug dafür könnten jetzt US-Forscher bereitgestellt haben. Auf Grund von statistischen Untersuchungen von Bildern der japanischen Sonnenforschungssonde »Yohkoh« im Röntgenbereich glaubt ein Team um Dr. Richard Canfield von der Staatsuniversität von Montana in Mont Bozeman nachgewiesen haben, daß Gefahr vor allem von S-förmigen Objekten in der Sonnenkorona ausgeht. Über derartige Sigmoide sagte der an dem Forschungsprojekt beteiligte Physiker Alphonse Sterling auf einer NASA-Pressekonferenz am Dienstag: »Jedes ist wie eine geladene Pistole, von der wir wissen, daß sie mit großer Wahrscheinlichkeit losgehen wird«. Die Wissenschaftler verglichen verschiedene Formen der im Röntgenbereich hell strahlenden Muster in der Korona. Dabei habe sich gezeigt, daß symmetrische Muster – etwa in Schmetterlingsform – kaum zum Hinausschießen großer Materiemengen aus der Sonnenkorona führen, ergänzt Canfield. Er erklärt die Sonderstellung der S-förmigen Flecken mit der Charakteristik der beteiligten solaren Magnetfelder. Sie seien wahrscheinlich das Ergebnis verdrehter Felder, die offenbar die Koronarmaterie besonders stark beschleunigen.

In der Vergrößerung der Bilder des japanischen Röntgenteleskops wird die S-Form des Sonnenflecks vor dem Ausstoß der riesigen Plasmawolke sichtbar (links)

Foto: Montana State Umversity/ISAS

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