Seit 35 Jahren pumpt der größte Kohletagebau der USA Grundwasser aus Indianerland. Brunnen und Flüsse in den Reservaten zweier Stämme versiegen. Doch jetzt scheint ein Sieg ihrer Widerstandsgruppen nahe
Wolfgang B. Kleiner
Lesedauer: 7 Min.
In der wüstentrockenen Landschaft in der Umgebung des Monument Valley siedeln seit 1000 Jahren die Indianerstämme der Hopi und der Navajo. Denn in den tiefen Canyons der Black-Mesa-Hochebene tritt aus zahlreichen kleinen Quellen Grundwasser aus, das Ackerbau und Viehzucht erlaubt. »Wir leben im Paradies«, sagt der 41-jährige Leonard Selestewa mit leuchtenden Augen, »aber wie lange noch?«
Seine Eltern bewirtschaften eine kleine Farm im Tal des Moencopi-Flusses. Vor allem Mais, Hauptnahrungsmittel der Indianer, wird auf terrassenartigen kleinen Feldern angebaut. Nur zum Eigenbedarf, denn Handel mit Nahrungsmitteln ist den Indianern fremd. Doch der Landwirtschaft und damit der uralten Lebensweise droht das Ende: Der Bach, der die Felder speiste, ist in der Vegetationsperiode nun trocken. »Als Kinder konnten wir noch im Wasser schwimmen und tauchen«, erinnert sich Selestewa
Die uralten Stammesgebiete der Hopi und Navajo in Arizona waren für die Regierung erst interessant geworden, als dort in den 50er Jahren immense Kohlevorräte entdeckt wurden. Washington handelte mit den Indianerstämmen Verträge aus, um mit der Kohle den Energiehunger der USA stillen zu können.
Die Ureinwohner, damals kaum des Lesens und Schreibens mächtig, hatten keine Ahnung von den Spitzfindigkeiten westlichen Vertragsrechts. Sie hatten auch keine Vorstellung von den künftigen Ausmaßen des Tagebaus, der heute etwa 20 mal 20 Kilometer groß ist. Auf den Kohleabbau in ihrem Reservat hatten sich die Häuptlinge nur eingelassen, um Geld für die medizinische Versorgung und die Ausbildung der Stammesmitglieder zu bekommen. Was sie indes nicht begriffen: Mit dem Vertrag erlaubten sie den Betreibern des Tagebaus auch die unbegrenzte Entnahme allerbesten Grundwassers zum unglaublichen Preis von 1,40 Dollar für über 1000 Kubikmeter. Gebraucht wird das Wasser, um die Kohle per Pipeline zu einem 450 Kilometer entfernt liegenden Kraftwerk zu pumpen.
»Viele Brunnen sind schon versiegt, andere liefern nur noch einen Bruchteil der ursprünglichen Wassermenge«, erklärt Selestewa. An einer öffentlichen Quelle am Rande von Moencopi (»Ort, an dem Wasser fließt«) trifft er seinen Hopi-Stammesbruder Irwin Philips, der seinen Tagesbedarf an Trinkwasser in Plastikbehälter füllt. Auch heute noch gibt es kein fließendes Wasser in den alten Steinhäusern. Selestewa weiß, dass die Quelle früher 170 Liter Wasser in der Minute geliefert hat, heute sind es nur noch 65 Liter.
»Nicht nur unsere Lebensgrundlage ist bedroht, auch unsere jahrtausendalte Religion und Kultur.« Von der Öffentlichkeit abgeschirmt, praktizieren die Hopi ihren alten Glauben, in dessen Zentrum das lebenswichtige Wasser steht. Es gibt Regenmacher, Regentänze, zahlreiche kultische Handlungen rund um das Wasser. Ihrem Glauben zufolge gibt es einen Zusammenhang zwischen der seit Jahren anhaltenden Dürre und dem Ausbleiben des Regens einerseits und der Grundwasserentnahme andererseits. Die Balance aller Dinge sei dadurch aus dem Gleichgewicht gekommen, der Kreislauf des Wassers wurde unterbrochen. »Ohne Wasser ist auch unsere Religion in Gefahr. Wir haben Glaubensfreiheit in den USA. Doch die Regierung lässt zu, dass unserer Religion die Grundlage - das uns heilige Wasser - entzogen wird«, sagt Selestewa.
Hopi-Stammessprecherin Vanessa Charles verweist darauf, welche Konsequenzen die Wasserknappheit für die Menschen im Hopi-Regierungsort Kykotsmovi bisher hatte: »Der Stamm wollte neben anderen Gesundheitseinrichtungen eine Dialyse-Station für Nierenkranke bauen, damit diese innerhalb des Stammesgebietes versorgt werden können und nicht hunderte von Meilen fahren müssen. Aber es war nicht genügend Wasser für den Betrieb der Station vorhanden.«
Selestewa ist heute Vorsitzender des Black Mesa Trust, einer 1998 gegründeten Vereinigung von Kohleminengegnern des Hopi-Stammes. Auf ungezählten Stammesversammlungen der 12 Hopi-Dörfer mit ihren 12000 Einwohnern schaffte es der Trust, Resolutionen der Dorfräte gegen die unsinnige Wasserentnahme durchzusetzen. Dennoch spricht die Gesamtregierung des Stammes heute mit gespaltener Zunge: Die massive Entnahme besten Trinkwassers aus einer Wüstengegend für profane Industriezwecke ist zwar auch ihr längst nicht mehr geheuer, sie fürchtet aber den Ausfall von 30 Prozent der Stammeseinnahmen. »Uns ging es doch gut, bevor die Mine kam«, wendet Selestewa gegen solche Befürchtungen ein, »mir sind meine Kultur und unser Wasser wichtiger als Geld.«
»Die Erde ist unsere Mutter, sie lebt. Das Wasser ist ihr Blut. Wir leben auf unserer Mutter«, erklärt Nicole Horseherder mit Tränen in den Augen, »Leute aus der westlich-intellektuellen Welt fühlen diese enge Verbindung nicht.« Nicole Horseherder (34) und Marshall Johnson (42) haben ihre Organisation »To Nizhoni Ani« (Die wunderbare Wasserquelle spricht) genannt. Die beiden Navajo-Indianer waren unzufrieden mit der Passivität der eigenen Leute und der Stammesführung, aber auch enttäuscht über die USA-Regierung, die ihrer Meinung nach kein Gespür für die Bedürfnisse der Urbevölkerung hat. Inspiriert von der Arbeit des Black Mesa Trust auf Hopi-Seite, zog das Navajo-Ehepaar innerhalb von vier Jahren alle 14 Navajo-Dörfer auf die Seite der Opposition gegen die Wasserentnahme. Der Stammesregierung blieb nichts anderes übrig, als sich ebenfalls dagegen auszusprechen.
»Wir haben drei Kinder. Sie sollen eine Zukunft haben. Sie sollen auf dem Land ihrer Vorfahren nach traditioneller Art leben können. Darum kämpfen wir.« Marshall Johnson scheut scharfe Worte nicht: »Diese Art, unser Wasser, unsere Lebensader auszubeuten, ist eine Form des Terrorismus.« Er zieht eine Parallele zur brutalen Zwangsumsiedlung fast aller Indianerstämme Nordamerikas in ein Konzentrationslager in Oklahoma in den Jahren 1864 bis 1868. Damals kamen sehr viele Indianer ums Leben. Und er verweist darauf, dass Navajos und Hopis ihr angestammtes Land verlassen müssen, wenn kein Wasser mehr da ist. »Das ist wie damals eine Form des Völkermords!«
Ein erbitterter Streit tobt heute darum, wie schädlich die Grundwasserentnahme durch die Kohlegrube tatsächlich ist. Denn die seit Jahren in Arizona herrschende Dürre liefert dem Bergbau eine willkommene Begründung für das Austrocknen der Brunnen. Beide Seiten bekriegen sich mit immer neuen geologischen Gutachten, die allesamt im Trüben stochern. Denn wie das als »Navajo-Aquifer« bezeichnete Grundwasserreservoir tatsächlich funktioniert, darüber gibt es keine gesicherten Angaben. Rein rechnerisch sind die durch die Mine jährlich entnommenen 5 Millionen Kubikmeter Grundwasser nur ein winziger Bruchteil des unterirdischen Reservoirs. Oberflächliche Austrocknung wegen Regenarmut erklärt aber auch nicht plausibel, warum Grundwasser in 500 bis 1000 Meter Tiefe verschwindet.
»Die massive Entnahme reduziert den Druck in der wasserführenden Schicht, das Wasser wird deshalb in den Canyons nicht mehr an die Oberfläche gedrückt«, weiß der Hopi-Indianer nach vielen Jahren Beschäftigung mit der komplizierten Materie. Und in der Tat fällt der Wassermangel in der Black-Mesa-Region mit dem Beginn des Kohleabbaus zusammen. »Experten haben schon vor 30 Jahren Bodensetzungen als Folge der Grundwasserentnahme vorhergesagt. Mittlerweile haben sich tiefe Risse im Boden gebildet, in denen selbst Schafe schon verschwunden sind«, berichtet Selestewa.
Das in Laughlin (Nevada) gelegene Kohlekraftwerk musste sich auf Druck von Umweltgruppen und Tourismusverbänden außergerichtlich verpflichten, Ende 2005 zu schließen oder aber für 1,3 Milliarden Dollar auf eine umweltfreundliche Verbrennung umzustellen. Denn das nahe Tourismus-Heiligtum Grand Canyon litt zu sehr unter den Abgaswolken. Damit sich die Investition lohnt, wollte das Kraftwerk - ausschließlich für die Verbrennung der per Pipeline angelieferten Kohle ausgelegt - vom Betreiber der Kohlegrube auf Indianerland eine langfristige Liefergarantie. Die Grube hat aber nur eine vorläufige Betriebsgenehmigung des Innenministeriums, weil der ehemalige Hopi-Stammesführer Vernon Masayesva in den 80er Jahren schon starke Bedenken gegen die Wasserentnahme geltend gemacht hatte. Die Erteilung einer Dauer-Abbaugenehmigung ist sehr unwahrscheinlich geworden, nachdem sich fast alle Gremien der Indianer gegen die weitere Grundwasserentnahme ausgesprochen haben und die Behörde das Versiegen der Brunnen kaum mehr ignorieren kann. Die Grube kann also keine Liefergarantie geben, die Nachrüstung des Kraftwerks kann nicht erfolgen. Kraftwerksschließung und als Folge wohl die Minenschließung sind greifbar nahe.
Der 64-jährige Masayasva, heute einer der radikalsten Minengegner, weiß einen Weg zum endgültigen Erfolg: »Unser Rechtsanwalt bei den damaligen Konzessionsverhandlungen hat zeitgleich auch für die Minengesellschaft gearbeitet. Das ist heute eindeutig nachweisbar. Der Anwalt wäre laut Gesetz verpflichtet gewesen, uns auf diese Interessenskollision hinzuweisen. Er tat es nie. Der ganze Vertrag ist damit null und nichtig. Die Mine hat im Laufe der Zeit deshalb 40 Milliarden Gallonen Trinkwasser widerrechtlich entnommen. Eine Gallone kostet im Supermarkt 1 Dollar. Wenn die beiden Stämme den Mut dazu aufbringen, fordern wir 40 Milliarden Dollar Schadenersatz!«
Das ist keine Illusion angesichts des US-amerikanischen Rechtssystems und der dort üblichen astronomischen Schadenersatzsummen. Die Bergbaugesellschaft muss diese Entwicklung schon vor Jahren geahnt haben: Die Black Mesa Mine wird nur von einer Tochtergesellschaft des Konzerns betrieben. Sie könnte also in Konkurs gehen, ohne die Muttergesellschaft mitzuziehen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.