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  • Politik
  • Ueberwegs Geschichte der Philosophie neu aufgelegt

Die Sophisten und Sokratiker

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Johannes Irmscher

Etwas Unleserliches! Eine Geschichte aus Namen und Büchern.« So Lenins Urteil 1903 in einer Notiz über das Handbuch zur Philosophiegeschichte des Friedrich Ueberweg. Dennoch, auch der russische Revolutionär nutzte es im Schweizer Exil reichlich. Bis weit in unser Jahrhundert blieb es ein Standardwerk. Es wurde freilich weniger wegen seiner Einschätzung der jeweiligen Entwicklung des philosophischen Denkens genutzt als vielmehr gerade wegen der umfassenden bibliographischen Angaben.

Eine Neubearbeitung des Klassikers wünschen sich seit längerem nicht nur die Philosophen. Indessen ist die Spezialliteratur immens angewachsen, ja kaum noch übersehbar, so daß ein solches Unterfangen viel Wagemut erfordert. Diesen scheute dankenswerter das Wissen-

schaftlerteam unter Hellmut Flashar, emeritierter Lehrstuhlinhaber für klassische Philologie an der Universität München, nicht und machte sich, unterstützt von einem qualifizierten Schweizer Verlag, daran, einen neuen »Ueberweg« herauszubringen. Man kann gewiß sein, daß es nicht an naseweisen Kritikern fehlen wird, die das ganze Projekt in Frage zu stellen versuchen. Doch soll man ruhig die Hunde bellen lassen; denn die Karawane zieht weiter zu denen, die das Gebotene zu nutzen wissen und nicht ihren Triumph darin sehen, unberücksichtigt Gelassenes mit Emphase anzukreiden.

Die Höhepunkte der griechischen Philosophie sind unzweifelhaft mit den Namen Piaton und Aristoteles verbunden, dem Repräsentanten des objektiven Idealismus und Begründer der Staatsphilosophie einerseits und dem Systematiker und Universalgelehrten andererseits. Mit Piaton hätte der neue »Ueberweg« beginnen sollen, doch der frühe Tod des Piatonkenners

„ Konrad Gaiser machte ein Umdisponieren erforderlich. Die bereits abgeschlossene Manuskripte sollten nicht ungenutzt liegen bleiben. So behandelt der vorliegende Band zunächst die Zeitgenossen Piatons und die unter seinem Signum stehenden Denker und Forscher auf dem Felde der Philosophie und Nachbarwissenschaften. Der erste Teil befaßt sich mit den Sophisten, deren unbestreitbares Verdienst darin besteht, nach der Natur das menschliche Individuum und die menschliche Gesellschaft zum Gegenstand philosophischer Reflexion gemacht zu haben. Dabei entwickelten sie einen selbstfindigen Berufsstand des Sophisten und nutzten - höchst praktizistisch - die Philosophie als Instrumentarium einer allein auf (politische) Zweckmäßigkeit gerichteten Rhetorik und machten sich dadurch Piaton zum Feinde. Bearbeitet wurde das Kapitel über die Sophistik vom Herausgeber und seinem britischen Kollegen George D. Kerferd. Nach einer allgemeinen

Einführung m das Wesen der antiken Sophistik werden die Hauptvertreter vorgestellt, zuerst in ihrer Biographie, dann nach ihren Werken und wissenschaftlichen Konzeptionen (»Lehre«) und schließlich, soweit faßbar, nach Wirkung und Nachwirkung.

Der zweite Teil (verantwortlich: Klaus Döring) ist Sokrates, den Sokratikern sowie der Sokratestradition gewidmet. Hier vermißt man ganz besonders den noch ausstehenden Piatonartikel. Denn, so wichtig auch Xenophons Schriften für die Wiedergewinnung des »echten« Sokrates sind, so sind doch Piatons frühe Dialoge unbedingt als gleichgewichtige Quellen anzusehen. Die Kapitel III und IV wenden sich der griechischen Mathematik zu, von ihren Anfängen bis zu Diophantos (um 250) und die medizinischen Teste des Corpus Hipocraticum. Die betreffenden Abschnitte verfaßten Wissenschaftler der nachwachsenden Generation: Hans-Joachim Waschkies (Kiel) und Carolin Oser-Grote (Konstanz). Es verwundert hier allerdings, daß zwar die Hipokratesausgaben von E. Littre (Mitte des 19. Jahrhunderts) und W.H.S. Jones (in der Loeb Classical Library) angeführt werden, das in-

terakademische Corpus medicorum Graecarum dagegen ohne Würdigung bleibt.

Der alte »Ueberweg« wurde, wie eingangs hervorgehoben, vornehmlich als Bibliographie genutzt'. Inzwischen hat auch die klassische Altertumswissenschaft globalen Charakter angenommen, und ihre Literatur ist ins Ungemessene angewachsen. Die Bibliographie des neuen »Ueberweg« kann daher nur eine Auswahl treffen. Für Westeuropa bietet sie im großen ganzen das Gültige, die Verzeichnung der Leistungen der DDR trägt weithin Zufallscharakter, das osteuropäische Fachschrifttum ist nur sporadisch genutzt. Diese kritische Marginalie schmälert nicht das unbestrittene Verdienst des Herausgebers und seiner Mitarbeiter, »Ueberweg« neuen Atem eingehaucht zu haben. Es bleibt zu wünschen, daß sie ihr weit über die Fachwissenschaft hinaus bedeutsames Unternehmen zügig fortsetzen und zu Ende führen können.

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