- Politik
- Deutschlands beste Nachwuchsbäuerin heißt Hedwig Emmerig und kann viel mehr als Traktorfahren
»Spaß macht es nur, wenn man gut ist«
Sich mit Hedwig Emmerig zu verabreden, ist nicht leicht. Am Dienstag hat sie etwas vor, am Donnerstag und am Freitag kann sie auch nicht. Sie ist entgegenkommend, freundlich, aber sie ist beschäftigt. Die Termine diktiert sie. Sie ist 21.
Hedwig Emmerig ist etwas Besonderes. Na klar, wird man sagen, sie ist jetzt ein Star: Deutschlands beste Nachwuchsbäuerin. Aber das ist es nicht. Es ist die Art, wie sie damit umgeht. In wenigen Tagen hat sie gelernt, daß Schlagzeilen oft schlecht gemacht sind. Der ORB nannte seinen Film »Der beste Traktorfahrer Deutschlands ...« Sie kennt Leute, die fahren besser. Und darum geht es auch überhaupt nicht: Sie kann mehr als Traktorfahren, es ärgert sie, wenn man sie reduziert, wenn man sie in ein Klischee preßt. Deshalb bittet sie darum, daß wir ihr das Manuskript, bevor wir es drucken, zuschicken. Sehr freundlich, sehr bestimmt, sehr gewinnend: »Ich will Ihre Freiheit nicht einschränken, ich will nur, daß keine Fehler drinstehen. Damit will ich nicht andeuten, daß Ihnen so etwas passieren könnte.«
Vielleicht ist es das: Sie weiß, wer sie ist. Und die, die sie ist, gefällt ihr. Ein grüner, fleckiger Arbeitspullover schlabbert über alten Jeans. Dazu trägt sie derbes, klobiges Schuhwerk. Das blonde Haar ist viel zu fein, um Sonne und Wind gewachsen zu sein. Sie hat es in eine Spange geklemmt, trotzdem lösen sich die Strähnen. Sie fallen in ein ungeschminktes, eigenwilliges Gesicht, das von der Luft gerötet ist... Für Mädchen, die Models werden möchten, wäre das vermutlich ein Alptraum. Und so würden sie auch aussehen. Für ein Mädchen, das Bäuerin werden will, sieht Hewig Emmerig genau richtig aus: wunderschön.
Bäuerin werden wollte sie unbedingt. Sie kann sich nichts Besseres vorstellen. An diesem Morgen hat sie Kühlerdichter geholt und in den Weidemann geschüttet, außerdem hat sie Kanister mit Pflanzenschutzmittel aufgeladen. Als sie Heu wenden sollte, begann es zu regnen. »Auf dem Land«, lacht sie, »passieren 1000 Dinge. Immer ist irgendwas kaputt, oder das Wetter spielt nicht mit.«
Den ganzen Tag draußen, in der Natur sein, das ist es, was ihr gefällt. Der Beruf der Landwirtin sei abwechslungsreich und vielseitig, mit hohen geistigen Ansprüchen. Auf die hohen geistigen Ansprüche legt sie wert. Eben, weil »viele immer noch denken, der Landwirt sei nur ein Traktorist. Das stimmt nicht, der Landwirt muß alles können: Melken, Schweinemästen, Pflügen, Grünlandbewirtschaftung, Management. Und natürlich Landschaftspflege.« Landschaftspflege? »Wenn wir nicht wären, gäbe es keine Äcker mehr. Wir hätten nur noch Wald und Wiesen. Was uns gefällt, ist doch der Wechsel: Zwischen Wald und Wiesen blühen Sonnenblumen, Raps und Öllein ... Sie formt im Kopf die Schlagzeile, die wir später wählen könnten. Sie macht das sehr gut.
Hedwig Emmerig macht alles gut. Nicht, weil sie besonders ehrgeizig wäre, sondern weil sie Spaß haben möchte. »Spaß macht es einem nur, wenn man gut ist.« Das Abitur hat sie mit einem Durchschnitt von 1,8 hingelegt. Hier, im Brandenburgischen Lenzen, ist sie die einzige Abiturientin, die je nach einer Lehrstelle anstand. Sie hat nicht daran gezweifelt, daß sie den Ausbildungsplatz bekommt. Sicher, manche kriegen keinen: Man reißt sich nicht gerade um Schüler, die schlechte Zeugnisse vorlegen und nur Landwirt werden wollen, weil ihnen nichts anderes einfällt.
Auch um sie hat sich keiner gerissen. Sie wollte ihren Ausbildungsplatz mitten im Ausbildungsjahr wechseln: »Viele Betriebe sind sehr speziell. Man muß sich zwei, drei Mal verändern, um optimal ausgebildet zu werden.« Im Agrar-Betriebsverbund Lenzen ist sie erst seit letztem November. Vorher war sie in einem Bio-Mutterkuh-Betrieb in Wittstock, davor auf einem Hof in Bayern. Bayern ist ihre Heimat.
Gerblingshausen liegt südlich von München, »in den Voralpen, Oberbayern«. Hedwig Emmerig betont das, weil dieser Teil Bayerns besonders reich ist. Seltsamerweise spricht sie nicht mal den Hauch eines Dialekts, sondern ein gepflegtes Hochdeutsch. »In unserem Gymnasium«, erzählt sie, »wurde uns Bayerisch ausgetrieben. Wer Bayerisch sprach, war benachteiligt.« Ein Elitegymnasium, aus dem sie nicht nur erstklassiges Wissen mitnahm, sondern auch etwas Lebenserfahrung. »Geldhaben verdirbt den Charakter«, weiß sie, »dort zählte nur, welche Marken man trägt und wohin man in den Urlaub fährt.«
Sie fuhr gar nicht in den Urlaub. Ihre Eltern waren geschieden. Als sie 16 war, wurde die Mutter, eine Kontrabassistin, krank. Seitdem hat sie sich um den Haushalt und den kleinen Bruder gekümmert. Außerdem besaß sie ein Pferd. Um das Pferd zu finanzieren, mußte sie nach der Schule arbeiten. Mit 13 fing sie in der Brotfabrik an, später ging sie zur Sozialstation, in die ambulante Krankenpflege. Zum Reiten kam sie da nicht mehr, doch Pferde liebte sie noch immer. Diese Liebe führte sie schließlich nach Wittstock an der Dosse: Sie wollte sich den Agrarbetrieb mit seiner Pferdezucht ansehen. Es war die Landschaft, in die sie sich verliebte.
Die Landschaft in Brandenburg: dünner besiedelt, mehr Weite fürs Auge, Alleen, Seen, Feldränder. Wenn sie jetzt nach
Bayern fährt, muß sie »immer ein bißchen lächeln über die kleinen Handtuchfelder«. Daheim sei es so, »daß man jedes Jahr 20 Zentimeter mehr in Richtung auf den Weg zupflügt«. Da hier der Boden schlechter sei, lasse man »schon mal 'ne Ecke liegen und gibt der Landschaft mehr Spielräume«. Außerdem sind die Betriebe grö-ßer.
Zum Agrar-Betriebsverbund Lenzen gehört die Marktfrucht GmbH Lanz. Hier ist Hedwig Emmerig »stationiert«. Die GmbH bewirtschaftet insgesamt 4500 Hektar und ist ganz anders strukturiert, als die Familienbetriebe in Bayern. Schon, weil die Arbeit hier ausschließlich mit Lohnarbeitskräften organisiert wird. Ursprünglich hatte sie geglaubt, daß sich solche Riesenbetriebe eine goldene Nase verdienen müßten. Inzwischen weiß sie, daß das nicht stimmt. Anders als im Familienbetrieb müssen Überstunden bezahlt oder freigegeben werden. Sie findet, das ist »für die Menschen von Vorteil«. Sie kann das Leben im Wohnheim genießen. Das ist zwar nur eine alte Baracke, es gibt nicht mal Telefon, und die Sat-Schüssel ist kaputt, aber sie hält Fernsehen sowieso für Zeitverschwendung. »Wir erzählen uns alles«, sagt sie, »wir wissen alles voneinander.« Irgendwie ist das für sie wichtig. Auch, daß sie sich nach der Arbeit noch um ihr Pferd und den Hund kümmern kann, die auf dem Lenzener Wirtschaftshof leben.
Den Ausschlag, daß sie Lenzen wählte, gab aber etwas anderes: So ein großer Betrieb ist vielseitig. Hier kann sie sich holen, was ihr noch fehlt. Sie ist kein bequemer Lehrling. »Ein fordernder Lehrling«, formuliert Horst Möhring, der Geschäftsführer. Hartmut Tüngerthal, bereits seit 25 Jahren Lehrausbilder, hat so etwas noch nicht erlebt: Hedwig kommt mit dem Ausbildungsplan, sagt: »Sehen Sie mal, das steht hier drin, das habe ich noch nicht gelernt, das müssen Sie mir
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