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t???*i Die Timurhilfe war schön

Fachtagung in Berlin zum Zusammenleben von Alt und Jung

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Nils Floreck

Unter dem Motto »Miteinander reden -Füreinander dasein« fand in dieser Woche in Berlin eine Fachtagung der Volkssolidarität zum Zusammenleben der Generationen statt.

Gerhard Haag von der Europäischen Arbeitsgemeinschaft der Seniorenverbände verwies zu Beginn darauf, dass es in Zukunft immer mehr alte und immer weniger junge Menschen geben werde. Mit einer demografischen Entwicklung in dieser Dimension gebe es keine Erfahrungen. Zwar würden Parteien und Verbände gern auf die älteren Menschen zurückgreifen, in der öffentlichen Debatte würden sie trotzdem oft nur als Problemgruppe oder Kostenfaktor auftauchen. Dabei stünde es um den Dialog zwischen den Generationen gar nicht so

schlecht. Haag forderte »Heiße Herzen statt sozialer Kälte« und verwies auf die sozialpolitische Komponente des Miteinanders der Generationen.

Die Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen .(BAGSO), Dr. Erika Neubauer, betonte, dass Hilfeleistungen in der Familie selten »an die große Glocke gehängt werden« und damit oft unsichtbar seien. Zwar würde das Zusammenleben von Jung und Alt seltener, aber die gegenseitige Unterstützung würde trotzdem aufrechterhalten. Aus dem Podium wurde darauf hingewiesen, dass es im Zusammenleben der Generationen Unterschiede zwischen ländlichen Gebieten und Großstädten gebe. Frau Baumer vom Jugendwerk Aufbau Ost erklärte, dass es vielen Älteren peinlich sei, dass sich ihre Kinder nicht kümmern würden oder Geld dafür haben wollten. Deshalb würden sie bei Umfragen etwas anderes erzählen und sich oft sogar selbst belügen. Neubauer von der BAGSO

verwies dagegen auf viele übereinstimmende Studien. Bei Sozialstationen seien oft Problemfälle konzentriert, das dürfe aber den Blick nicht verstellen.

Renate Kirschnek vom Bundesvorstand der Volkssolidarität betonte, dass Generationenhilfe nach dem Krieg selbstverständlich war. »Timurhilfe« war damals das, was heute Nachbarschaftshilfe heißt. Für die »Timurhilfe« war allerdings die enge Verbindung zwischen Volkssolidarität und Schule nötig. Leider zöge sich die Schule heute auf formale Wissensvermittlung zurück. »Aber zum Wissen gehört auch die Herzensbildung«, so Kirschnek. Einen Krieg der Generationen gebe es nicht, und es sollte alles getan werden, um diesen Krieg auch nicht zuzulassen, sagte sie unter großem Beifall.

Danach stellten Prof. Marie-Luise Bödiker-Lange von der Katholischen Fachhochschule Berlin und Gisela Gehrmann von der Akademie für Gesundheits- und Sozialberufe in Wittstock erste Ergebnisse

einer Befragung zum Thema Großeltern und Enkelkinder vor. Die Wissenschaftlerinnen zeigten sich begeistert von dem Rücklauf, bei 500 ausgegebenen Fragebögen sei ein Rücklauf von rund 100 Fragebögen normal. Von der Volkssolidarität seien über 500 Bögen zurückgekommen, weil viele »kopiert hätten wie die Wilden«, so Gehrmann. Die Auswertung sei noch nicht abgeschlossen, deshalb konnten nur erste Ergebnisse vorgestellt werden.

Für viele Großeltern sei das Zeitmanagement schwierig, besonders problematisch werde dies bei mehreren Enkelkindern. Trotzdem kritisierten die Wissenschaftlerinnen, dass zu viele Ältere erwarteten, dass die Enkel anrufen oder zu den Großeltern kommen. Schließlich lebten 75 Prozent der Großeltern in der näheren Umgebung der Enkel. Ein Thema war auch die Frage, was die Enkel bei den Großeltern dürfen, was zu Hause nicht erlaubt ist. Bei Jungen und Mädchen gleichermaßen beliebt seien Fernsehen, länger aufbleiben und Rauchen (sehr zum Entsetzen einiger Eltern). Die Mädchen dürften auch essen, was und wie sie wollen, und öfter ihre eigene Meinung sagen. Die Jungen seien dagegen begeistert, wenn sie in Fächern herumkramen und mehr im Dreck spielen dürften. Zwischen

6 und 10 Jahren bekämen Jungen wesentlich mehr Freiheiten von den Großeltern als Mädchen, zwischen 14 und 18 sei es dann umgekehrt. Die Wissenschaftlerinnen versprachen eine schnelle komplette Auswertung, damit die Mitglieder sehen könnten, dass ihre Arbeit mit den Fragebögen nicht umsonst war.

Nach der Pause kamen dann die Praktiker zu Wort. Viele konkrete Projekte konnten sich selbst vorstellen, so das Projekt »Jung hilft Alt«, das in Berlin, Halle, Dessau und Merseburg aktiv ist und allein in Berlin-Hohenschönhausen und Marzahn 152 Klienten betreut. Über das generationsübergreifende Senioren- und Sozialzentrum aus Pößneck sprach Geschäftsführer Helmut Weißbrich und verwies darauf, dass dieses Projekt der Volkssolidarität 1998 den Bundes-Solarpreis zum ersten Mal in die neuen Bundesländer holte. Eine ähnliche generationsübergreifende Wohnanlage stellte Frau Hartmann aus Chemnitz vor. Der Treff der Generationen vom Kreisverband Aschersleben/Staßfurt/Quedlinburg war mit seinem Puppentheater angereist, das in Kindergärten und bei öffentlichen Auftritten immer wieder für Begeisterung sorgt. Mit einem Kaffeklatsch und dem Film »Superoma« klang die Fachtagung aus.

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