Kopftuch, Scharia und Frauenemanzipation
Zu »Kopftuch oder Klassenzimmer« (ND vom 14. September.):
Nicht der Koran, sondern der Zentralrat der Muslime in Deutschland proklamiert das Tragen des Kopftuches als »religiöse Pflicht« aller Muslimas. Für aufgeklärte Muslime dagegen ist das Kopftuch nicht nur ein politisches Zeichen der fundamentalistischen Abgrenzung, sondern darüber hinaus auch eine Chiffre der Frauenunterdrückung. Im Iran bekommen Frauen für einen verrutschten Schleier 74 Peitschenhiebe; unverschleierte Frauen riskieren in Algerien und Afghanistan ihr Leben.
Die Scharia, das Grundgesetz der religiösen Fundamentalisten, zu dem sich der Zentralrat vorbehaltlos bekennt, ist ein Instrument der rigiden Frauenunterdrückung. Es erlaubt den Männern die Polygamie und bedroht die Frauen für Ehebruch mit der Todesstrafe; das Bedecken der »Scham«, der Haare, schreibt dieses Gottesgesetz ebenfalls nur den Frauen vor. Wenn sich junge Frauen vom fundamentalistischen Islamismus instrumentalisieren lassen oder sich gar freiwillig unter den Schleier zurückziehen, wirft sie das auf dem Weg zur Emanzipation um Jahrhunderte wieder zurück. Diese tragische Entwicklung unter dem Deckmantel der »Religionsfreiheit« oder des »Persönlichkeitsrechts« auch noch zu fördern, ist klar verfassungswidrig. Art. 3 GG schreibt
dem Staat die aktive Förderung der Gleichstellung der Geschlechter vor. Als Arbeitgeber für Lehrkräfte ist er daran gebunden. Wer das Kopftuchtragen als persönliche »Vorliebe« einer Muslimin verniedlicht, trägt mit Schuld an der Tatsache, dass immer mehr muslimische Mädchen, die in der Bundesrepublik auf einem guten Weg der behutsamen Emanzipation waren, von ihren Vätern und Brüdern wieder massiv unterdrückt und isoliert werden. Sie dürfen kaum noch am Schwimm- und Sportunterricht oder an Klassenreisen teilnehmen und werden nach dem Schulunterricht praktisch zu Hause eingeschlossen. Eine Berufsausbildung ihnen verwehrt.
Ehe die niedersächsische Grüne Brigitte Litfin im Zusammenhang mit der Haltung der niedersächsischen Kultusministerin von »mittelalterlichen Unterwerfungsmethoden« faselt, sollte sie sich gründlich über diese Hintergründe informieren. Im übrigen untersagt die Neutralitätspflicht des Staates jede politische Agitation an Schulen. Vor zig Jahren wurde in Süddeutschland eine Schülerin der Schule verwiesen, weil sie eine »Stoppt-Strauß«-Plakette trug. Dass ausgerechnet an bayrischen Schulen muslimischen Lehrererinnen das Tragen eines Kopftuchs gestattet wird, ist nur auf dem ersten Blick ein Widerspruch. Unterwerfungsriten von Frauen sind dort stets hoch willkommen.
Dr. Ingrid Scherzer-Hartz 21641 Apensen
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