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  • Politik
  • Zum Tode von Wolfgang Lesser

Engagiert für das neue Lied

  • Hansjürgen Schaefer
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor wenigen Tagen ist er in Berlin, 76-jährig, gestorben: Der Komponist und Musikpolitiker Wolfgang Lesser. Als sehr junger Mann erlebte der gebürtige Breslauer die Nacht des Faschismus, die ihn 1939, vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, als Juden in die englische Emigration zwang. Hier festigte sich seine konsequente antifaschistische Gesinnung und die Bereitschaft, etwas gegen Hitler und seinen Völkermord zu tun. 1947, nach der Rückkehr ins östliche Deutschland, das bald DDR wurde, setzte er sich mit dem für sein ganzes Leben charakterischen Elan und leidenschaftlichen Eifer für den Aufbau eines besseren Deutschland ein. Für ihn konnte das nur unter sozialistischen Vorzeichen geschehen. So wurde er überzeugter, aktiver

DDR-Bürger. Bald sah man ihn im Zentralrat der FDJ. Aber er hatte auch eine beträchtliche musikalisch-schöpferische Anlage. Sie wurde ab 1954 gefördert und entwickelt bei guten Lehrern: Hanns Eisler, Rudolf Wagner-Regeny, Günter Kochan.

Der Komponist Lesser hatte eine hörbare Veranlagung zu Melos und Rhythmus, für das Lied, das politische nicht zum Wenigsten.

Das Lied blieb denn auch im Zentrum seiner kompositorischen Arbeit, und man hörte ihm den Nachklang des Eislerschen Idioms an. Lieder, Songs und Massengesänge machten ihn seit den sechziger Jahren bekannt. Es gab da aber auch differenzierte Zyklen von Klavierliedern nach Texten Georg Maurers (»Dreistrophenkalender«) oder Manfred Streubels (»Ein Tag in unserer Stadt«). Doch der Komponist Lesser saß nur selten am Klavier oder am Schreibtisch. Ihn trieb es in die neue Welt,

die er kulturell mitbauen wollte. So wurde er »auch« Kultur-, vor allem Musikpolitiker. Als 1. Sekretär, schließlich als Präsident des Komponistenverbandes der DDR, als Generalsekretär des Musikrates der DDR, schließlich in solchen Funktionen auch als Mitglied der Volkskammer seines Landes, mühte er sich energisch um die Musikkultur, vor allem um die Förderung des kompositorischen Schaffens in all seinen Bereichen und Genres. Er wollte da viel, erreichte manches zum Wohl seiner Kollegen, ihrer Musik, und erlebte dabei auch Pleiten und Pannen. Aber er war ein Kämpfer, der alle Kraft und alle Energie in seine Arbeit steckte. Fürs Komponieren blieben da meist wenige Nachtstunden übrig. Er hat sie später auch in durchaus erfreuliche Kompositionen übers Lied hinaus gesteckt: Es gibt u. a. ein Violinkonzert, Solowerke für Violine, für Violoncello allein, ein Streichquartett. Ein solcher Mann hat das Ende der DDR, für die er lebte und kämpfte, nicht ohne tiefe innere Blessuren überstanden. So verwundert es nicht, dass es in den letzten Jahren sehr still um ihn und seine Musik geworden ist. Die ihn kannten, mit ihm gearbeitet haben, wo auch immer, werden seiner ehrend gedenken, den Klang seiner Musik im Ohre behalten. Auch das gehört zu einem »anständigen« Finale.

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