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Ungenügende Krebsvorsorge

Die Fehlerquote bei der Früherkennung liegt bei 97 Prozent Gesundheit Von Mechthild Klett

  • Lesedauer: 4 Min.

Frauen- und Gesundheitspolitikerinnen der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hatten in der vergangenen Woche zu einer öffentlichen Anhörung über die Brustkrebsvorsorge eingeladen.

Barbara Scheel, vor vier Jahren von Brustkrebs und -Operation betroffen, vertraut nur zum Teil auf die Schulmedizin. Mit Hilfe von Naturheilkunde und einem Onkologen aus Zürich hat sie es geschafft. »Bis heute habe ich ohne Chemotherapie keinen Rückfall gehabt«, freut sich die 46-Jährige. Sie sei allerdings auch aus der »Stressgesellschaft« ausgestiegen.

Auf der Anhörung überwog allerdings der Zorn der Frauen über maßlose Schlampereien in der Brustkrebsvorsorge. Niemand konnte erklären, warum es gerade in Deutschland noch keine flächendeckenden Vorsorgeuntersuchungen (Screening) auf medizinischem und technischem Spitzenstandard gibt, etwa bei den Mammograhien (Bruströntgen-Untersuchung). Spezialisten können an Hand dieser Untersuchung kleinste Tumorzellen ausmachen, die noch nicht zu ertasten sind und damit das Leben vieler Frauen retten. Doch in Deutschland werden professionelle Reihenuntersuchungen nicht nur verhindert, sondern auch stümperhaft durchgeführt. Wie sonst erklärt sich eine Fehlerquote bei der Früherkennung von 97 Prozent (Angabe bezogen auf

1992)? Rund 40 000 Frauen erkranken bundesweit jährlich an Brustkrebs und etwa 18 000 sterben daran.

»In den Niederlanden ging in den letzten Jahren die Sterblichkeitsrate von Frauen auf Grund von Brustkrebs um 30 Prozent zurück«, berichtete Dr. Jan Hendriks vom Brustkrebszentrum in Nijmegen. Dort gab es bereits 1976 erste Modellversuche mit Reihenuntersuchungen, seit 1996 werden sie flächendeckend durchgeführt. »Unser Ziel ist es, die jährliche Mortalitätsrate von heute 3500 Frauen auf 700 Frauen im Jahr 2003 zu senken«, betonte Hendriks. Da können deutsche Gesundheitspolitiker, Ärzte und Selbsthilfegruppen nur staunen.

Hier zu Lande sollen in den Regionen Bremen, Heidelberg und Aachen 24 Jahre nach dem Versuch in Holland endlich auch Modellprojekte mit einer flächendeckenden Untersuchung ins Leben gerufen werden. Doch ein Häuflein von 20 Radiologen hat das in Aachen bisher erfolgreich verhindert. »Und dass, obwohl bereits mindestens 40 000 Unterschriften für das Projekt gesammelt wurden und 52 Initiativen, Krankenkassen und viele Verbände ihm zustimmen,« empört sich Helga Ebel von der örtlichen Krebsberatungsstelle des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Wieso sich Radiologen verweigern können, und warum die grüne Bundesgesundheitsministerin nicht eingreift, blieb leider unbeantwortet. Liegt es am schnöden Mammon? Die Verweigerer haben von den Krankenkassen »im Falle ihrer

Mitarbeit beim Modellprojekt eine Ausgleichszahlung angeboten bekommen, weil es für sie an Mammographien nicht so viel zu verdienen gibt wie bei anderen Untersuchungen«, erläuterte Ebel.

Es gibt noch eine zweite Front, an der gekämpft werden muss - ohne Spitzenqualität bei den Mammographien mit technisch besten Geräten und hochqualifizierten Experten wird es keine Erfolge geben. »Besser keine Mammographie als eine schlechte« brachte es der Radiologe

Hendriks auf den Punkt. In Holland sei das Projekt »außerhalb des Gesundheitssystems angelegt«, erklärte Hendriks. Finanziert würden die Reihenuntersuchungen durch ein Sonderbudget im Nationalhaushalt. Es umfasst rund 70 Millionen Gulden. Das Screening würde außerhalb der Krankenhäuser und Arztpraxen in Screening-Zentren nur von Ärzten durchgeführt, die eine entsprechende Genehmigung erhalten haben. Ausschließlich zertifizierte Radiologen, medizinisch-technische Assistentinnen und Pathologen dürfen untersuchen. Total-Quality-Management nennt sich das. Immerhin vertrauen 80 Prozent der angeschriebenen Frauen im Alter zwischen 50 und 75 dieser Qualität und folgen einer schriftlichen Einladung zur Untersuchung. In Deutschland

steckt so etwas noch in den Kinderschuhen.

Damit sich das ändert, erarbeitet unter anderem der Mathematiker, Prof. Heinz-Otto Peitgen, im »Bremer Brustkrebs-Screeningprogramm« an einem Qualitätssicherungsmodell. »Ziel ist es, die Fehlerquote bei den falschen Befunden zu senken. Noch zu viele Frauen werden durch die Nachricht erschüttert, sie hätten Krebs und das stimmt gar nicht.« Obwohl nur bei dringendem Verdacht auf Krebs mammographiert werden darf, gibt es bei den 5 Millionen Untersuchungen pro Jahr »nur« 40 000 tatsächliche Neuerkrankungen. »Wildes screening« nannte Ebel dieses Vorgehen, das ihrer Meinung nach sofort beendet werden muss. Zudem gäbe es, so Peitgen, viele Frauen, die Krebs haben, der aber nicht erkannt würde. »Diese Fehlerquote macht die Akzeptanz der Frauen, die wir anschreiben und zu den Untersuchungen einladen wollen, zunichte«, fürchtete Peitgen. Um einen hohen Standard zu erreichen, lehnt sich der Wissenschaftler an das holländische Modell an. Man will als Kontrollinstanz das so genannte Monitoring einführen. Jeder Schritt werde auf Fehler überprüft, kündigte Peitgen an. So soll es zwei von einander unabhängige Radiologen geben, die die Untersuchungen durchführen. Spezialisten würden über eine internationale Ausschreibung ermittelt. Alle Apparate sollen täglich überwacht werden. Und auch die Ausbildung der Radiologen unterliege steter Kontrolle.

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