Benzin im Blut

Die Vogtländerin Helga Heinrich-Steudel fuhr 1960 ihr erstes Motorsport-Rennen - und ist noch immer aktiv

  • Heidrun Böger
  • Lesedauer: 5 Min.
Diese Frau war einmalig im Motorsport der DDR, gewieft und gewandt, elegant in den Kurven, unglaublich schnell. Ein Vierteljahrhundert schrieb Helga Heinrich-Steudel entscheidend mit an der DDR-Sportgeschichte. Rundenlang hielt sie die Zuschauer in Atem. Zuletzt nahm sie im September am 45. Internationalen Bergrennen Unterfranken im Formelrennwagen teil - mit 73 Jahren.

Letztens, da hat sie es den Jungs dann doch mal gezeigt. Zwei junge Burschen hinter ihr drängelten auf der bergigen Landstraße im Erzgebirge. Helga Heinrich-Steudel drückte aufs Gas, raste die Serpentinen runter. An der nächsten roten Ampel standen die Drängler neben ihr. Helga amüsierte sich über die fassungslosen Gesichter, hatte doch eine »Oma« den beiden die Rücklichter gezeigt.

Was die nicht wissen konnten: Bergrennen sind Helga Heinrich-Steudels Spezialität. Sie ist die einzige Frau, die je auf dem Sachsenring ein Motorradrennen gewann. Das war am 17. Juli 1965.

Zu Hause im vogtländischen Mylau stehen Dutzende Pokale. Die heute 73-Jährige liebt es, mit 200 Sachen Runden zu drehen. Wenn sie am Wochenende zum Nürburgring fährt oder zum Schleizer Dreieck, dann hat sie ein Team von bis zu zehn Leuten dabei, drei Rennautos sind auf Laster verladen. So verbringt Helga Heinrich-Steudel, die auch heute noch wochentags in ihrem Laden in Mylau steht, ihre Freizeit: »Für mich gibt es nichts Schöneres, als Rennen zu fahren. Das herrliche Gefühl, in der Kurve die optimale Linie zu finden, ist der größte Reiz am Rennsport.« Die Frau hat, wie man so sagt, Benzin im Blut.

Dabei sah sie immer eher aus wie eine Motorrad-Braut, schlank, blond, hübsch, schmückendes Beiwerk. Nicht schlecht staunten die Jungs, als sie ihnen schon in jungen Jahren quietschend die Hinterreifen zeigte. Helga Steudel - den Doppelnamen hat sie erst seit der Heirat 1969 mit Dieter Heinrich - stammt aus einem winzigen Nest im Vogtland, aus Görschnitz, das liegt zwischen Greiz und Plauen. Ihr heutiger Wohnort Mylau ist gleich um die Ecke. Im Dorf kurvte sie früh mit dem Moped durch die Gegend. Schnell war klar, dass sie mehr Talent hatte als die anderen. Und jede Menge Spaß machte ihr die Sache auch. Es hieß: »Bei Deiner Kurvenlage, geh doch mal in den Club!« So fing sie mit 20 Jahren im Motorradclub (MC) Plauen mit Geschicklichkeitsfahrten an. Das war im Jahr 1959.

Ein Jahr später kam das erste Rennen in Bautzen mit einer tschechischen 350er Jawa. Schon in der Qualifikation war sie auf Anhieb die beste Zeit gefahren, was nicht allen Jungs gefiel - selbstverständlich war sie die einzige Frau. Sie musste sich am Start Kommentare anhören wie: »Du gehörst doch an den Kochtopf.« Verunsichert sei sie gewesen, erinnert sich Helga Heinrich-Steudel, aber auch trotzig. Die Jungs nahmen sie beim Rennen in die Zange, Helga flog aus der Kurve und bekam einen Gips. Doch während jede andere gesagt hätte, das muss ich mir nicht antun, kaufte sich Helga Steudel mit geborgtem Geld ein Rennmotorrad. Jetzt erst recht!

In den folgenden Jahren fuhr sie öfter allen davon, aber die damalige Zeit war nicht günstig für eine Renn-Amazone. Als Helga Steudel war sie zwar zehn Jahre lang die einzige erfolgreiche Rennfahrerin in der DDR auf dem Motorrad. Doch der Weltverband FIM erlaubte keine Lizenz für Frauen im internationalen Motorradrennsport. Und ohne Starts im Ausland hatte sie nie eine Chance, zum Beispiel Werksfahrerin von MZ zu werden, trotz ihrer enorm guten Zeiten. Sie hörte auf.

Es dauerte einige Zeit, doch dann begann sie, nun verheiratet, als Helga Heinrich eine zweite Karriere im Autosport. Im Jahr 1970 startete sie erstmals auf vier Rädern. Mit einem Melkus RS 1000, dem Ferrari des Ostens, gab sie ihr Debüt in Lückendorf. Bis 1983 fuhr sie Rennen auf dem Frohburger Dreieck, auf dem Sachsenring oder dem Schleizer Dreieck, ihrem »Wohnzimmer«.

Dabei war es nicht einfach. Die gelernte Landwirtin finanzierte das teure Hobby zunächst mit drei Jobs, arbeitete als Weberin in Schichten, half auf dem väterlichen Bauernhof aus und jobbte im Farbengeschäft der Eltern ihres damaligen Freundes und heutigen Ehemanns Dieter Heinrich: »Er stand und steht voll hinter mir, sonst wäre das überhaupt nicht machbar.« Das Hobby seiner Frau ist nicht ungefährlich, auch wenn bis auf einen doppelten Schlüsselbeinbruch und eine Gehirnerschütterung bei einem Unfall 1960 nie etwas Schlimmes passiert ist. Stets unterstützte Dieter Heinrich auch finanziell seine Frau, tauschte zum Beispiel eine begehrte Schmalfilm-Kamera von Carl-Zeiss Jena gegen zwei Rennreifen. An die Kamera kam er damals heran, weil er das Farben- und Drogeriegeschäft seiner Eltern im vogtländischen Mylau übernommen hatte. Das betreibt das Paar noch heute.

Zu verdienen gab es mit den Rennen nichts: »Man bekam eher lustige Präsente wie Ledermappen, Stoffe oder Krüge«, erzählt die jung gebliebene Rennfahrerin, der immer noch die Rennkombi von damals passt. Mit Malimo-Strickmoden hatte sie immerhin einen Sponsor, der die zu DDR-Zeiten hohe Summe von 11 000 Mark beisteuerte. Dafür stand dann der Schriftzug Malimo auf den Rennwagen von Helga Heinrich-Steudel.

Doch im Jahr 1983 reichte es Helga Heinrich-Steudel. Sie hatte wenig Ahnung von Technik: »Ich kann zwar sagen, ob es passt, das Schrauben überlasse ich den Jungs.« Häufig bekam sie aber nur schlechte Technik für ihren Rennwagen. Trotz ihrer fahrerischen Erfolge war es für sie als Frau zu schwer in der Männer-Domäne Rennsport. Wieder hörte sie auf, Rennen zu fahren. Dem Sport jedoch blieb sie - die in jungen Jahren als Leichtathletin und Geräteturnerin gern an der Hochschule für Körperkultur- und Sport in Leipzig studierte hätte, was ihr Vater verhinderte - treu: Ski im Winter, Surfen im Sommer.

Aber irgendwie war es dann doch zu langweilig: Im Jahre 2004 fing Helga Heinrich-Steudel noch einmal an, Rennen zu fahren. Mit 65 Jahren! Seitdem ist sie an den Wochenenden unterwegs am Nürburgring und am Zschorlauer Dreieck, heutzutage bestreitet sie vor allem so genannte Gleichmäßigkeitsrennen. Dabei geht es darum, jede Runde möglichst in der gleichen Zeit zu fahren. Erste Plätze belegt sie noch immer. Mit 73 Jahren ist sie nicht mehr die jüngste. Denkt sie auch mal ans Aufhören? - »Eher nicht.«

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