Seelchen im Gesicht

Die von unserer Nase gesammelten Sinneseindrücke machen uns nicht nur Appetit auf leckeres Essen

  • Walter Schmidt
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Mensch ist zwar ein Augentier und sammelt die meisten Sinneseindrücke optisch. Doch auch rund um unser Riechorgan hat die Umgangsprache nicht umsonst erstaunlich viele, oft seelisch relevante Redensarten gebildet. So stinkt uns zum Beispiel ganz gewaltig, wer uns schon oft geärgert hat. Andere Menschen können sogar meist nett zu uns sein, und trotzdem können wir sie nicht gut riechen. Und dann sind da noch jene Zeitgenossen, über die wir einfach nur die Nase rümpfen können - oft ohne zu wissen, warum.

Etwa 20 bis 30 Millionen Geruchssinneszellen sitzen in der Riechschleimhaut unserer Nase - kein Grund, besonders stolz zu sein, denn bei einem ausgewachsenen Schäferhund sind es etwa 225 Millionen, also zehnmal so viele. Doch auch der Geruchssinn des Menschen ist empfindlich genug, um über die Riechzellen belästigt werden zu können. Und deshalb kann uns nicht nur etwas, sondern auch jemand furchtbar stinken, obwohl andere ihn ausgesprochen gut riechen können. Der Geruch allein kann es also nicht sein; zur Missempfindung braucht es noch etwas Zweites.

»Man erlebt ja im Alltag ganz oft, dass Leute miefen oder müffeln, wobei man selber der einzige zu sein scheint, der es wahrnimmt - und dann rückt man eben ab von der betreffenden Person«, sagt der Pharmakologe und Toxikologe Thomas Hummel, der an der Technischen Universität Dresden den Arbeitsbereich »Riechen und Schmecken« leitet. Ein bestimmter Schweißgeruch werde »also nicht von jedem als besonders abstoßend erlebt, sondern von manchen Menschen kaum wahrgenommen«.

Hier geht es, wenn man so will, um eine reine Geschmacksfrage, nicht etwa um seelische oder charakterliche Eigenschaften des auffällig Riechenden, die über den Geruch vermittelt würden. Denn Ekel - oder genauer: das Ekelhafte - wird großenteils erlernt, der Mensch also durch Beobachten seiner Eltern und anderer Menschen sozusagen darauf geprägt, was lokal als widerwärtig gilt. Deshalb rümpft hierzulande jemand schon die Nase, der einen Schweißfleck nur sieht. Und ein handelsübliches Deo darf allen Ernstes »Lebensqualität ohne Schweiß« verheißen - als könnten wir Menschen überleben, ohne zu schwitzen.

Besonders interessant ist das Geruchsgedächtnis. Mit seiner Hilfe können wir üble, aber zum Glück auch angenehme Gerüche speichern, so dass wir sie bei neuerlicher Wahrnehmung selbst nach Jahrzehnten noch erinnern können. Das kann der Duft von Omas Küche sein, die man nach 15 Jahren erstmals wieder betritt: Obwohl die Großmutter schon seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr lebt, reicht ein Atemzug, um wieder zum Kind zu werden und sogar die Stimme der längst Verstorbenen scheinbar zu vernehmen. Oder es kann das Parfüm einer vor langer Zeit geliebten oder zumindest begehrten Frau sein, das einem viele Jahre später, an einem völlig andern Ort, wieder um die Nase weht und im Magen ein Gefühl auslöst, das als verstörendes Kreisen von Flugzeugen nur unzulänglich beschrieben wäre.

Das alles ist kein Wunder, sondern Neurobiologie: Denn die Geruchssinneszellen der Nase sind entlang der so genannten Riechbahn über den Riechkolben, eine Ausstülpung des Gehirns, aufs Innigste mit dem Großhirn verwoben - aber auch mit der Amygdala, dem Mandelkern im Zwischenhirn, der die Geruchsreize mit abgespeicherten Gefühlen verbindet.

Dahinter steckt die so genannte »Hebb'sche Lernregel«, die auf den wegweisenden Psychobiologen Donald Olding Hebb (1904-1985) zurückgeht. Der Kanadier fand heraus, »dass Nervenzellen, die häufig gleichzeitig feuern, also zur selben Zeit aktiv sind, sich miteinander verknüpfen«, erklärt der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther die zentrale Erkenntnis Hebbs. Oder in dessen Worten: »What fires together, wires together« - was zusammen feuert (also elektrische Reize weiterleitet), verdrahtet sich (verbindet sich also mit anderen Nervenzellen).

Hat man demnach, um beim erwähnten Beispiel mit der Oma zu bleiben, in der Küche der Großmutter die dort wabernden Gerüche wiederholt eingesogen, dann werden nicht nur diese Düfte, sondern auch andere seinerzeit parallel gesammelten Sinneseindrücke beim Wiedererkennen des vertrauten Geruchs alle miteinander reaktiviert. Dann hat man die geliebte Oma zusätzlich wieder vor Augen, hört ihre warme Stimme, erinnert ihre oftmals aufmunternden Worte und nimmt vielleicht sogar unwillkürlich die gleiche Körperhaltung ein wie damals, wenn man als Zehnjähriger vor ihr stand.

Unglückseligerweise gilt die Hebb'sche Lernregel auch bei negativen Erfahrungen: Wenn eine Frau durch eine Vergewaltigung traumatisiert ist und in einer Menschenmenge plötzlich denselben Rasierwasserduft erschnuppert, den auch der Vergewaltiger verströmte, kann schon das allein sie neuerlich in Panik versetzen. Dann nämlich drohen so genannte »Flashbacks« - blitzartige Rückfälle in das Geschehen von damals, die sich so anfühlen, als ereigne sich das Schreckliche in der Gegenwart zum ersten Mal. Dann ist es, als sei seit damals keine Zeit vergangen.

Wenn uns also jemand stinkt, dann schlägt uns womöglich gar nicht sein Geruch in die Flucht, sondern unser Hirn hat gelernt, seine speziellen Gerüche zum Beispiel mit einigen seiner Verhaltens- oder Ausdruckweisen zu kombinieren, die uns schon damals arg missfielen. Daran kann dann auch das teuerste Deo nichts ändern - mag es duften, wie es wolle.

Dass uns so viele Gerüche noch aus Kindertagen vertraut sind, hat übrigens einen simplen Grund. »Die Geruchserinnerungen aus der Kindheit sind einfach deshalb besonders, weil wir in diesen Jahren das erste Mal etwas mit einem Geruch verbinden«, sagt die Neurobiochemikerin Yaara Yeshurun vom israelischen Weizmann-Institut der Wissenschaften. Es sind also buchstäblich prägende Dufteindrücke, die wir mit Kindheitserfahrungen verknüpfen: das erste, leckere Himbeereis, Mutters unübertreffliches Rindergulasch, aber auch die erste nach Verwesung stinkende Ratte unten am Fluss.

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