Leipziger Häuserkampf

Rathauschef rückt Liste zu »herrenlosen Grundstücken« nicht heraus

  • Hendrik Lasch, Leipzig
  • Lesedauer: 4 Min.
In der Leipziger Affäre um »herrenlose Grundstücke« stockt die Aufklärung. Sachsens Landtag und Leipzigs Stadtrat suchen vergebens an Unterlagen zu kommen. Die Verzögerung dürfte mit dem Termin der Leipziger OB-Wahl zusammenhängen.

Das neue Rathaus von Leipzig ähnelt äußerlich einer Burg: Mauern aus massivem Stein, ein wehrhafter Turm, vorm Eingang grimmige Löwen. Und der Schein trügt nicht. Seit Monaten läuft in Leipzig eine Art Belagerung, der Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) aber scheinbar unerschütterlich trotzt.

Bedrängt wird das Rathaus von dem Untersuchungsausschuss im Dresdner Landtag zum »Sachsen-Sumpf«. Er befasst sich mit vermuteter Korruption in sächsischen Behörden und Verwaltungen. Das Gremium hat sich auch der Affäre um »herrenlose Grundstücke« in Leipzig angenommen. Dabei geht es um zweifelhafte Veräußerungen von Grundstücken, zu denen die Verwaltung angeblich keine Eigentümer ausfindig machen konnte - obwohl manche Besitzer sogar Grundsteuer zahlten. Die Flächen wurden im Auftrag der Stadt verkauft, teils weit unter Wert und oft über mehrere Zwischenerwerber.

Der Landtagsausschuss fordert von der Verwaltung zunächst ein Schriftstück. Es handelt sich um eine Liste, auf der 754 einschlägige Vorgänge aufgeführt und nach 38 Kriterien ausgewertet sind, darunter Kaufpreis und Käufer. Jung indes weigert sich beharrlich, die Liste herauszugeben. Seiner Meinung nach darf der Ausschuss das Papier nicht anfordern. Im Ausschuss wird zwar auf gesetzliche Regelungen gepocht, wonach Behörden und Körperschaften, die »der Aufsicht des Landes unterstehen«, zur Vorlage von Akten verpflichtet seien. Jung indes bezweifelt das und hat einen eigenen Gutachter beauftragt - pikanterweise wie er SPD-Mann. Zudem war dieser als Richter einst Kollege von Heide Boysen-Tilly, die in der Zeit der dubiosen Verkäufe das städtische Rechtsamt leitete.

In Dresden sorgt die Blockade für erboste Reaktionen; von einem »beispiellosen Affront gegenüber dem Landtag« spricht etwa Christian Piewartz (CDU). Er wirft Jung vor, auf »Verzögerung« zu setzen. Grund dazu gäbe es: In Leipzig ist am 27. Januar OB-Wahl, Jung bewirbt sich erneut um das Amt.

In Leipzig vermutet man, dass Jung Gründe haben könnte, nicht zu viele Details zu den Geschäften offenzulegen. Die LINKE spricht von »auffälligen persönlichen Beziehungen« Jungs zu Nutznießern der Transaktionen, etwa Anwälten, die mit Verkäufen beauftragt waren. LINKE-Stadtchef Volker Külow sieht gar ein »Amigosystem«.

Auch die Stadträte bemühen sich bisher vergebens um Einsicht in die Liste - obwohl Jung dem Rat im September noch das »Recht auf jede Akte« zugebilligt hatte. Nach fruchtlosen Anfragen und Debatten um den exakten Wortlaut der Äußerung Jungs haben sich vorige Woche die Fraktionen von LINKE, Grünen, CDU und FDP auf die Einsetzung eines Aktenprüfungsausschusses geeinigt, die am 22. November erfolgen soll. Der OB erklärte daraufhin, eine Einsicht in die Akten sei »selbstverständlich«, die Verwaltung habe »nichts zu verbergen«.

Der Ausschuss in Dresden geht derweil einen anderen Weg. Zwar hält man die Stadt weiter zur Herausgabe der Liste verpflichtet; das müsste aber, sagen Juristen, zunächst das Innenministerium anweisen, welches im Streitfall vor dem Verfassungsgericht verklagt werden müsste - ein langwieriger Weg. Deshalb wartet man zunächst das Leipziger Gutachten ab - und hat parallel dazu Akten der Staatsanwaltschaft angefordert.

Die hatte in der Causa ermittelt und zehn Umzugskartons mit Unterlagen zusammengetragen. Die Anklage gegen sechs Beschuldigte, darunter Boysen-Tilly, wurde bereits am 10. Juli abgeschlossen und liegt seitdem beim Leipziger Landgericht. Der Staatsanwalt, der sie erstellte, wurde allerdings fünf Tage später ins Justizministerium versetzt. Und auch die Hauptverhandlung lässt auf sich warten.


Bücher mit Lücken

»Herrenlose Grundstücke« gibt es in Ostdeutschland oft, weil Besitzer etwa wegen lückenhafter Grundbücher nicht auffindbar sind. Kommunen dürfen in derlei Fällen gesetzliche Vertreter bestimmen und die Flächen verkaufen; der Erlös muss verwahrt werden. Zuvor müssen aber die Behörden alles unternehmen, um Eigentümer ausfindig zu machen. Im Fall von Leipzig, wo 411 solcher Objekte verkauft wurden, sollen aber in mindestens 150 Fällen einzelne Eigentümer bekannt gewesen sein. (hla)

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