»Es gibt keine Unterlegenen«

Im Machtkampf um die grüne Spitzenkandidatur haben sich Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt per Urwahl durchgesetzt

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Basis der Grünen hat das Spitzenduo für die Bundestagswahl 2013 gewählt. Etwas überraschend wird Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt an der Seite von Fraktionschef Jürgen Trittin antreten.

Vielen Journalisten war im Saal der Uferstudios in Berlins früherem Arbeiterstadtteil Wedding die Überraschung deutlich anzusehen. Soeben hatte Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke am Samstagmorgen das Ergebnis der Spitzenkandidaten-Urwahl verkündet. Wenig überraschend entfielen 71,9 Prozent der abgegebenen Stimmen auf den favorisierten Jürgen Trittin. Dass die unscheinbare Reala Katrin Göring-Eckardt mit 47,3 Prozent das zweitbeste Ergebnis erreichte, hatte hingegen kaum jemand erwartet. Die Ko-Fraktionsvorsitzende Renate Künast kam auf 38,6 Prozent. Noch weniger Parteimitglieder waren der Meinung, dass die Vorsitzende Claudia Roth die Grünen im Wahlkampf anführen soll. Sie erhielt gerade einmal 26,2 Prozent der Stimmen. Elf bundespolitisch unbekannte Kandidaten landeten abgeschlagen auf den hinteren Plätzen. Insgesamt hatten 61,73 Prozent der fast 60 000 Grünen an der Urwahl teilgenommen.

»Trittin ist der Vorkämpfer für ein grünes Wirtschaftswunder. Göring-Eckardt steht für mehr soziale Gerechtigkeit«, sagte Steffi Lemke. Diese Arbeitsaufteilung im anstehenden Bundestagswahlkampf bestätigte das Spitzenkandidatenduo, das bei einem Erfolg auf Ministerposten oder den Fraktionsvorsitz hoffen kann, wenige Stunden später bei einem gemeinsamen Auftritt. Göring-Eckardt forderte die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen, einen gesetzlichen Mindestlohn, die Frauenquote, eine bessere Kinderbetreuung und mehr Geld für Kinder in Armut. Die Ostdeutsche bemüht sich schon seit Monaten darum, ihr Image als Sozialpolitikerin zu verbessern. Linksparteichef Bernd Riexinger wies aber gestern gegenüber dem »nd« darauf hin, dass Göring-Eckardt als Fraktionschefin bis 2005 die Hartz-Gesetze durchgepeitscht hatte. »Da konnte es mit Löhnen und Sozialleistungen nicht schnell genug bergab gehen. Sie sollte sich für Hartz IV entschuldigen«, forderte Riexinger. Beide Spitzenkandidaten seien Gesichter aus der Agenda-Zeit. Sie hätten sich nie von den sozialpolitischen Sünden der Agenda 2010 distanziert. »Das grüne Spitzenduo muss erst noch zeigen, wo es steht. Wir warten die inhaltliche Positionierung ab«, erklärte der LINKE-Vorsitzende.

Göring-Eckardt wird ihr Amt als Präses der Evangelischen Kirche bis zum Ende des Bundestagswahlkampfes im Herbst 2013 ruhen lassen. Linksfraktionsvize Ulrich Maurer verlangte zudem ihren Rückzug vom Amt als Bundestagsvizepräsidentin. »Göring-Eckardt kann im Wahlkampf bei den wichtigen Debatten nicht über den Kontrahenten präsidieren«, erklärte Maurer. Ihre neutralen Repräsentationspflichten wären außerdem entwertet. Auch FDP-Vize Birgit Homburger forderte die Grünen-Politikerin zum Verzicht auf das Amt auf.

Im Unterschied zur zurückhaltenden Göring-Eckardt wird der rhetorisch begabte Trittin im Wahlkampf wohl für heftige Attacken gegen Schwarz-Gelb zuständig sein. »Das Wachstum stockt, die Finanzmärkte wurden nicht reguliert und öffentliche Haushalte sind überschuldet«, konstatierte der Fraktionschef. Dass er die Krisenpolitik der Merkel-Regierung in der Opposition unterstützt, verschwieg Trittin. Als grüne Zielgruppe hat er im Wahlkampf die »gesellschaftliche Mitte« ausgemacht. »Die Wahlerfolge der Grünen in Baden-Württemberg haben gezeigt, dass die bürgerliche Mitte eine bessere Gesellschaft will«, meinte Trittin. Das Ziel sei es nun, im Bund gemeinsam mit der SPD die Union zu schlagen.

Die Urwahl war bei den Grünen lange umstritten. Weil sich die Parteispitze aber nicht über die Spitzenkandidaten einigen konnte, blieb nur diese Option übrig. Auch Steffi Lemke ist sich der Risiken bewusst. Dem Eindruck, dass Roth und Künast durch das Ergebnis beschädigt sind, versuchte Lemke etwas hilflos entgegenzuwirken. »Es gibt keine Unterlegenen«, behauptete sie. Doch die Realität sieht anders aus. Besonders Claudia Roth hat sich größere Chancen ausgerechnet. Sie hatte im Frühjahr eine Urwahl ins Spiel gebracht, um eine alleinige Kandidatur Trittins zu verhindern und zugleich ihr Interesse angekündigt. Nun ist es fraglich, ob sie ihr Vorhaben, beim Parteitag am Wochenende in Hannover erneut für den Vorsitz zu kandidieren, aufrechterhalten wird. Roth wird sich heute zum Urwahl-Ergebnis äußern.

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