Armut im Alter

Christoph Butterwege über eine solides Fundament für die Rentenversicherung

  • Christoph Butterwege
  • Lesedauer: 3 Min.

Die steigende Altersarmut in Deutschland ist ein Armutszeugnis für den Sozialstaat, weil sie hauptsächlich die Opfer von Maßnahmen zur Deregulierung des Arbeitsmarktes und zur Umstrukturierung der Rentenversicherung trifft. Aufgrund der starken Zunahme lückenhafter Erwerbsverläufe, der Ausweitung des Niedriglohnsektors mit entsprechend sinkenden Rentenbeiträgen der Beschäftigten, längerer Zeiten »abhängiger Selbstständigkeit« und zahlreicher Kürzungen im Sozialbereich (Einführung sogenannter Dämpfungsfaktoren in die Rentenanpassungsformel: »Riester-Treppe«, »Nachhaltigkeitsfaktor« und »Nachholfaktor«) verschiebt sich die Altersstruktur der Armutspopulation gegenwärtig in Richtung der Senioren.

Um die Jahrtausendwende wurde mit Einführung der sogenannten Riester-Rente das für einen Sozialstaat grundlegende Prinzip der Lebensstandardsicherung in der Rentenversicherung aufgegeben, noch bevor man dies mit Hilfe der »Hartz IV« genannten Arbeitsmarktreform bei den Langzeitarbeitslosen tat. In denselben Zusammenhang gehören die Begrenzung und irrigerweise als »Nullrunde« bezeichnete mehrmalige Aussetzung der jährlichen Rentenanpassung; die wiederholte Verringerung und schließliche Streichung der Beiträge zur Rentenversicherung, welche die Bundesanstalt beziehungsweise -agentur für Arbeit früher im Falle des Grundsicherungsbezugs entrichtet hat; sowie die schrittweise Anhebung des Rentenzugangsalters von 65 auf 67 Jahre und dadurch künftig vermehrt zu erwartende höhere Abschläge.

Altersarmut dürfte künftig zwar andere Formen als in der unmittelbaren Nachkriegszeit annehmen, die durch allgemeine Not gekennzeichnet war, weil die gleichzeitige Existenz massenhaften Wohlstandes und riesigen Reichtums heute als Kehrseite eines Prozesses der sozialen Polarisierung gelten kann. Sie ist aber nicht weniger demoralisierend für die davon Betroffenen, denen ihre Würde genommen und der gerechte Lohn für ihre Lebensleistung vorenthalten wird.

Um die Armut von Bestandsrentnern zu vermindern und das Entstehen neuer Altersarmut zu verhindern, ist ein ganzes Maßnahmenbündel nötig: Genannt seien nur die Rücknahme aller Kürzungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel und die Erhöhung der Grundsicherung im Alter von momentan rund 668 Euro auf mindestens 900 Euro. Um künftigen Rentnern einen armutsfreien Ruhestand zu ermöglichen, wäre die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns von wenigstens zehn Euro pro Stunde nötig, denn Erwerbsarmut führt längerfristig zu Altersarmut.

Sinnvoll wäre auch die Wiedereinführung der 1972 geschaffenen und 20 Jahre später wieder abgeschafften Rente nach Mindesteinkommen, um die sogenannten Entgeltpunkte von Geringverdienern auf 75 Prozent des Durchschnitts anzuheben. Weiterhin müsste die Bundesagentur für Arbeit für Hartz-IV-Bezieher wieder Beiträge zur Gesetzlichen Rentenversicherung abführen.

Schließlich könnte die Umwandlung der Gesetzlichen Rentenversicherung in eine solidarische Bürger- beziehungsweise Erwerbstätigenversicherung für mehr Verteilungsgerechtigkeit im Alter sorgen. Durch die Einbeziehung von Selbstständigen, Freiberuflern, Beamten, Abgeordneten und Ministern sowie die Einführung der Beitragspflicht für Kapitaleinkünfte, Mieteinnahmen und Pachterlöse würde die Rentenversicherung auf ein solides finanzielles Fundament gestellt.

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