Gegen die Kreditexzesse der Banken

Der Finanzwissenschaftler Helge Peukert plädiert für eine neue Geldordnung

  • Lesedauer: 4 Min.
Zu den Kritikern der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) zählen die Anhänger des Vollgeldsystems. Bei diesem dürfen Banken nur dann Kredite vergeben, wenn die entsprechende Summe durch Kundeneinlagen oder bei der Zentralbank geliehenes Geld gedeckt ist. Zu den wichtigsten Vertretern gehört Helge Peukert (geb. 1956), Professor für Finanzwissenschaft und Finanzsoziologie an der Universität Erfurt. Er ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac, bei Occupy Money sowie beim Verein Monetative, der sich für eine Vollgeldreform stark macht. Mit dem Ökonomen sprach für »nd« Thomas Trares.
Helge Peukert
Helge Peukert

nd: Herr Peukert, warum beschäftigen sich heterodoxe Ökonomen, die Ansätze jenseits des wissenschaftlichen Mainstreams vertreten, in jüngster Zeit verstärkt mit dem Thema Geld?
Peukert: Geld war lange Zeit eine blinde Stelle unter heterodoxen Ökonomen und auf Seiten der kritischen Linken, die Produktionssphäre war immer wichtiger als die Geldsphäre. Schulden fand man in Ordnung, sofern sie zum Beispiel für Sozialausgaben dienten. Auch der Keynesianismus hat das schuldenbasierte Papiergeldsystem nicht in Frage gestellt. Die Finanzkrise hat aber für uns alle die Schwächen des heutigen Geldsystems offenbart. Die Kreditexzesse der Banken, die auf ihrem Geldschöpfungsprivileg beruhen, sind ein wesentlicher Faktor für die Boom-Bust-Zyklen (in denen Spekulationsblasen entstehen und dann platzen, d.Red.) an den Finanzmärkten.

In Ihrem Buch »Die große Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise« plädieren Sie für Vollgeld. Was ist darunter zu verstehen?
Im heutigen System können die Banken bei einer Mindestreservepflicht von nurmehr einem Prozent (Zwangseinlage bei der EZB, abhängig von der Höhe der vergebenen Kredite, d.Red.) aus einem Euro Zentralbankgeld bis zu 100 Euro Kredit vergeben. Sie können also Geld in gewissem Sinne aus dem Nichts erschaffen und so die reale Geldmenge erhöhen oder - wie in der Finanzkrise - reduzieren. Obendrein beschert diese Art der Geldschöpfung den Banken erkleckliche Gewinne, für die sie keine Gegenleistung erbringen müssen. Das heutige System nutzt also vor allem den Finanzinstituten und nicht in erster Linie den Bürgern. Das Vollgeld will diese Hierarchie umkehren und Geld zu einer öffentlich-demokratischen Angelegenheit machen. Bei einer Mindestreserve von 100 Prozent hätte die Zentralbank die volle Kontrolle über die Geldmenge. Die Privatbanken wären dann nur noch reine Kreditvermittler.

Sie haben die Vollgeldreform sinngemäß als »Mutter aller Reformen« bezeichnet. Warum?
Die Banken sind heute dank des Wettbewerbs unter den Geldhäusern strukturell gezwungen, so viele Kredite wie möglich zu vergeben. Der Grundgedanke beim Vollgeld ist aber, dass Banken nur noch Kredite vergeben dürfen, wenn dem ein Akt des Sparens vorausgeht. Den Banken wird so an der Wurzel eine Bremse eingebaut. Schädliche Spekulationsprozesse wie auch Kredit- und Verschuldungsorgien würden eingedämmt. Es wären zwar weitere Reformen nötig, etwa die Größenbegrenzung von Banken oder deutlich höheres Eigenkapital, doch ohne das Vollgeld sind all diese Maßnahmen nur Stückwerk. Das Vollgeld hat auch eine politische Dimension. Es ist mit der Demokratie vereinbar, da jeder das System verstehen kann, und die Politik sieht sich damit nicht mehr der andauernden systemischen Erpressung durch die Finanzinstitute ausgesetzt.

Handelt es sich beim Vollgeldkonzept um mehr als Gedankenspiele alternativer Ökonomen?
Es ist natürlich nicht im Interesse der Banken, dass das Vollgeld kommt. Auch die Politik ist noch nicht soweit. In einigen politischen Lagern wurde das System aber schon aufgegriffen, zum Beispiel von Sahra Wagenknecht. Dabei ist das Vollgeld ursprünglich eine liberale Vorstellung, die sogar von Milton Friedman und mit Modifikationen auch von Walter Eucken vertreten wurde, dem Erzheiligen der deutschen Ordoliberalen.

Linke Ökonomen kritisieren an dem Konzept, dass die Geldzufuhr in die Wirtschaft nicht nach starren Regeln erfolgen kann. Eine expansive Geldpolitik in Krisenzeiten wäre dann nicht mehr möglich. Der Ökonom Rudolf Hickel meint, dass in einem Vollgeldsystem auch ein Geldautomat die Geldpolitik betreiben könnte.
Das ist sicher weitgehend richtig und gewollt: Eine vom demokratischen Zugriff recht unabhängige Zentralbank sollte unter normalen Umständen regelgeleitet handeln. Man könnte in das System aber flexible Elemente einbauen. Es könnte beispielsweise eine Volksabstimmung darüber geben, ob in einer Rezession mehr Geld eingespeist werden soll, als es einer dem Wachstum folgenden, inflationsneutralen geldpolitischen Regel entspräche. Ich verweise hier auf die positiven Erfahrungen mit den Finanzreferenden in der Schweiz. Eine zweite Variante wäre, dass der Staat in der Rezession Volksanleihen ausgibt. Diese dürfen nur an Inländer mit einer Mindesthaltedauer ausgegeben werden, sie gleichen jährlich flexibel die Inflationsrate aus und es gibt obendrauf nur 0,5 bis ein Prozent Zinsen.

Würde aber nicht noch mehr politischer Druck auf die Zentralbank ausgeübt, wenn sie allein die Geldmenge kontrolliert?
Beim Vollgeld unterliegt die Zen-tralbank wie erwähnt einer klaren Regelbindung, insofern hat sie eher weniger Macht. Zudem würde die Zentralbank nicht mehr tagtäglich mit den Privatbanken interagieren, für ihre Unabhängigkeit wäre dies sicher von Vorteil.

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