Auch Gott kann man bestreiken

Kirchen wird der »Dritte Weg« versperrt

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
Werden künftig auch Angestellte kirchlicher Einrichtungen in Deutschland Arbeitskämpfe führen dürfen? Würde das Bundesarbeitsgericht das Streikverbot kippen? Das Urteil der Erfurter Richter am Dienstag war mit Spannung erwartet worden.

Die obersten Arbeitsrichter entschieden sich gegen ein generelles Streikverbot und gaben damit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Ärzteorganisation Marburger Bund Recht. »Damit ist das von der Diakonie beantragte Streikverbot vom Tisch. Arbeitnehmer in kirchlichen Einrichtungen und ver.di können sich auf die Koalitionsfreiheit und damit auf das Streikrecht berufen«, freute sich ver.di-Chef Frank Bsirske.

Das Urteil betrifft rund 1,3 Millionen Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen der sozialen Daseinsvorsorge, nicht nur die 450 000 Mitarbeiter der Diakonie, größter Wohlfahrtsverband der evangelischen Kirche. Doch sei der Erfurter Richterspruch nur eine »richtungsweisende Zwischenetappe«, wie Gerichtspräsidentin Ingrid Schmid betonte. Es gilt als sicher, dass die Verliererseite vor das Bundesverfassungsgericht ziehen wird. Eventuell, so vermutete Richterin Schmidt, wird ein endgültiges Urteil erst vor dem Europäischen Gerichtshof in Strasbourg gefällt.

Ver.di fordert seit Langem bessere Demokratie- und Sozialstandards in Einrichtungen, die sich in Trägerschaft der katholischen oder evangelischen Kirche befinden. Dort wird bisher ein deutscher Sonderweg gegangen - selbst der Vatikan sei in diesem Punkt demokratischer als Deutschland, spottete ver.di-Boss Frank Bsirske. In den vergangenen Jahren hatte die Gewerkschaft einige halbwegs erfolgreiche Warnstreiks organisieren können. Dagegen hatte die Diakonie geklagt - gestern hat sie verloren. Nun müssen beide Kirchen Streiks zulassen.

Bei ihrem Sonderweg, der als »Dritter Weg« bezeichnet wird, berufen sich die Kirchen auf ein grundgesetzlich garantiertes Selbstbestimmgsrecht - ihr Selbstbestimmungsrecht, nicht das ihrer Mitarbeiter. In diesem Modell bilden die Kirche und ihre Beschäftigten eine »Dienstgemeinschaft«, in der Konsens statt Konfrontation herrschen soll. Löhne und Gehälter werden in »Arbeitsrechtlichen Kommissionen« ausgehandelt. Die sind paritätisch besetzt - aber natürlich ist die Arbeitgeberseite strukturell mächtiger. Kommt es zu keinem Konsens, dann entscheidet eine Schiedskommission. Verbindlich.

Die so genannten »Mitarbeitervertretungen« haben derweil kaum Spielraum und sind mit klassischen Betriebsräten nicht zu vergleichen. Gewerkschaften, Arbeitskämpfe oder gar Streiks gelten als Dreifaltigkeit des Bösen. Das hat Folgen: Um meist 20 Prozent liegen die Gehälter in diakonischen Einrichtungen unter jenen im öffentlichen Dienst. 70 Prozent der Frauen arbeiten im unteren Lohnsektor, 60 Prozent befristet oder in Teilzeit, so ver.di.

Völlig unironisch schlugen Kirchenvertreter vor Gericht einen neutralen Schiedsspruch vor. Sie wollten nach den Prinzipien des »Dritten Weges« über die Prinzipien des »Dritten Weges« entscheiden. Ver.di wies auch dies Angebot der Gegenseite ab: Eine Einbeziehung der Gewerkschaften in Tarifverhandlungen ohne Streikrecht reiche nicht aus.

Ein Mitspracherecht von Gewerkschaften war bisher im »Dritten Weg« nicht vorgesehen - im Gegensatz zum »Zweiten Weg«, in dem aber das Streikrecht umstritten ist. Noch undemokratischer ist der etwas aus der Mode geratene »Erste Weg«: Hier werden die Arbeitsbedingungen zu 100 Prozent von oben diktiert. Die als irgendwie fortschrittlicher geltende evangelische Kirche steht ihrer katholischen Konkurrenz in punkto Demokratiemangel in nichts nach. Jedenfalls toben bei den Protestanten die heftigeren Konflikte, und ver.di hat bisher nur einen Fuß in die Tür bekommen.

»Gott kann man nicht bestreiken«, pflegen Kirchenobere zu frömmeln, wenn es um grundlegende Rechte von Arbeitnehmern in kirchlichen Einrichtungen geht. Doch das von ihnen hochgelobte »Konsensprinzip« wird von ver.di seit langem attackiert: »Streikrecht ist Grundrecht«, lautet die Kampagne der Gewerkschaft, deren Ziel es ist, der im Grundgesetz verankerten Koalitionsfreiheit auch im Machtbereich der Kirchen Geltung zu verschaffen.

Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, außerhalb der Wahlkampfzeiten Präses der Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands und damit an der Spitze jenes Gremiums, das über die Geschicke der Kirche bestimmt, pflegt derweil den »Dritten Weg« vehement zu verteidigen. Das kirchliche Arbeitsrecht sei ein »Musterbeispiel eines demokratischen Prozesses«. Für die katholische Kirche verteidigte gestern morgen Peter Neher das bisher gültige kirchliche Recht. In den Arbeitsrechtlichen Kommissionen dürften schließlich nicht nur Gewerkschafter mitarbeiten, sondern alle Arbeitnehmer.

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