Hoffnung für Indiens Geier
Population erstmals in 20 Jahren leicht erholt, aber weiter stark gefährdet
Von Beginn der 1990er Jahre bis zum Jahr 2010 sank der Bestand an Geiern in Indien von über 40 Millionen Vögeln auf unter 60 000. Wissenschaftler rechneten bereits damit, dass die »fliegenden Gesundheitspolizisten« in zehn Jahren ausgestorben sein würden. Die Geier auf dem Subkontinent wurden deshalb von der IUCN (Internationale Union für Naturschutz) als »kritisch gefährdete Spezies« gelistet. Nun berichtet die Bombay Natural History Society in Kooperation mit der britischen Royal Society for the Protection of Birds, der dramatische Rückgang des Geierbestands sei vorerst wohl gestoppt.
Die Ursachen des massiven Schwunds blieben anfangs rätselhaft. Die Aasfresser, so fanden die Ornithologen nach gewissenhafter Untersuchung hunderter Kadaver heraus, verendeten vor allem an dem auch in der Humanmedizin verwendeten Schmerzmittel Diclofenac. Auch beim Menschen kann das Medikament vereinzelt die Nierenfunktion beeinträchtigen. Doch im Organismus der Geier fehlt ein Enzym, das das Medikament aufspaltet und abbaut, so dass der Vogel es anschließend ausscheiden kann. Fressen die Vögel mit Diclofenac kontaminiertes Fleisch, sterben sie häufig an akutem Nierenversagen. Weniger stark vergiftete Vögel werden unfruchtbar.
Diclofenac kommt in Indien seit 1992 auch bei der Behandlung von Nutzvieh zum Einsatz. Und das nicht nur von ausgebildeten Tierärzten, sondern auch von Bauern und Quacksalbern.
Nachdem man Diclofenac als Haupttodesursache identifiziert hatte, wurde im Jahr 2006 im gesamten südasiatischen Raum ein Verbot für dessen Anwendung in der Veterinärmedizin verhängt. In der Folge verlangsamte sich ab 2007 das Geiersterben. 2010 stellten die Wissenschaftler erstmals eine Stabilisierung des Bestandes fest. So zählten sie 2011 rund 1000 Dünnschnabelgeier (Gyps tenuirostris), 11 000 Weißrückengeier (Gyps africanus) und 44 000 Indiengeier (Gyps indicus). Brutzentren sollen den Bestand weiter stabilisieren.
Zwischen 2011 und 2012 stieg der Bestand leicht an. Zahlen dafür lieferte die Studie allerdings nicht. Deren Leiter, Vibhu Prakash, sprach zwar von einem »guten Zeichen«, warnte zugleich aber eindringlich vor übertriebenem Optimismus: »Wir müssen weiter vorsichtig sein.« Diclofenac werde zwar weniger verwendet, aber alle Kanäle seien noch längst nicht verstopft. Da es in der Humanmedizin eingesetzt wird, besorgen sich manche Bauern die Pillen weiter. Deshalb, so Vibhu Prakash, sei die Geierpopulation nach wie vor gefährdet.
Bengalgeier am Rande von Guwahati (Indien) Foto: dpa
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