Die unerträgliche Stille eines Tizian

Zum 100-jährigen Jubiläum fragt das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden: »Wozu Museum?«

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.

Als der Mundwasserfabrikant Karl August Lingner 1912 das Hygienemuseum in Dresden gründete, entwarf er dieses als »Stätte der Belehrung«. 100 Jahre später, in Zeiten von Wikipedia, sind Museen nicht mehr die unangefochtenen Archive des Wissens. Ebenso wenig sind sie Kathedralen der Hochkultur oder Orte, die gesehen zu haben Pflicht eines Bildungsbürgers ist. Ein Museumsbesuch, sagt der Direktor der Wiener Albertina, Klaus Albrecht Schröder, »hilft dem sozialen Status nicht«.

Wozu allerdings brauchen wir dann heute Museen? So fragt das Deutsche Hygiene-Museum anlässlich des Jubiläums und lud zu einer zweitägigen Konferenz, laut Untertitel einer »Lagebesprechung unter Freunden«. Wozu Museum? - die Art der Frage scheint Michael Schindhelm Indiz einer gewissen Müdigkeit: »Der Jubilar ist in die Jahre gekommen.« Schindhelm, weltweit als Kulturberater unterwegs, weist auf einen Widerspruch: Trotz knapper Kassen boomen Museen; es gibt zahlreiche Neubauten. Doch schöne Hüllen allein reichen nicht. Schindhelm nennt das MAXXI, ein Museum für moderne Kunst in Rom, für das die Stararchitektin Zaha Hadid die extravagante Hülle schuf. Ein Konzept für das Haus aber fehlt seit 20 Jahren.

Andere Häuser, wie die Albertina in Wien, brummen - weil sie die Bedürfnisse der Besucher zum zentralen Kriterium erheben. Museen haben »den Besuchern zu dienen«, sagt Direktor Schröder, der vom »König Kunde« spricht. Es sei eine »dramatische Einsicht« für viele Museumsleute gewesen, dass der Besuch im Museum heutzutage »völlig freiwillig« erfolgt - und selbst für Kulturbürger nicht mehr obligatorisch ist: Die Hildesheimer Kulturforscherin Susanne Keuchel weiß aus Umfragen, dass selbst 50 Prozent der gut gebildeten Älteren nicht ins Museum gehen; von den weniger Gebildeten bleiben sogar drei Viertel fern.

Ausgedient hat die feierliche Präsentation des Altehrwürdigen in angestaubter Umgebung: Museen, so Barbara Schmid, Chefin des »Museums der Kulturen« in Basel, müssten die »Verbindung zur Lebenswelt der Besucher« erlauben - und zugleich die »Relativierung des Eigenen«.

Noch völlig offen scheint die Frage, welche Zukunft die Museen haben oder welche der 37 Arten - von Heimat- bis Technikmuseum - profitieren. Jugendliche, sagt Susanne Keuchel, wollen im Museum nicht nur betrachten, sondern sich beteiligen. In klassische Museen, sagen sie, gehen sie »vielleicht mit 45 Jahren«, also: vermutlich nie. Reizvoll sind für sie Medien, Fotografie, Architektur, nicht alte Gemälde - was Schröder sogar versteht: Gemessen an den rasanten Bildfolgen eines Bond-Films sei ein Gemälde von Tizian eben tatsächlich »verdammt still«.

Den Albertina-Chef befällt daher etwas Skepsis: Er fühle sich wie der Kapitän der »Titanic«; dem Museum stehe womöglich ein Bedeutungsverlust bevor wie zuvor Kathedralen und Opernhäusern. Seine Baseler Kollegin Barbara Schmid ist zuversichtlicher: Sie sieht Museen als »Institutionen der Langsamkeit«. Und: Je virtueller die Welt wird, desto stärker ist die »Faszination des Materiellen« - der Dinge also, die Museen aufbewahren.

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