Pflegekassen zahlen für Vertretung

Auch pflegende Angehörige brauchen Urlaub

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Eine Geschichte, wie sie fast täglich vorkommt, weil jene Männer und Frauen, die Tag für Tag für ihre pflegebedürftigen Angehörigen da sind, irgendwann selbst mit den Kräften am Ende sind.

Sieben Jahre lang pflegte Helga Gerhardt ihren demenzkranken Mann rund um die Uhr. Dann erlitt die 71-Jährige einen Kreislaufzusammenbruch, musste selbst ins Krankenhaus. Ihr Mann kam zur Kurzzeitpflege in ein Seniorenheim. »Erst da hörte ich, dass ich die Kurzzeitpflege auch in Anspruch nehmen kann, um mich selbst einmal zu erholen«, sagt die Rentnerin.

So wie Helga Gerhardt wüssten viele Pflegende einfach zu wenig über die Hilfen, die ihnen zustehen, beobachtet Anja Roloff vom AWO-Bundesverband. Zum Beispiel, dass die Pflegekasse sie unterstützt, damit sie Urlaub machen können. Bis zu 1550 Euro gibt es für die sogenannte Kurzzeitpflege.

Das Geld können die Pflegenden verwenden, um ihre Angehörigen für maximal vier Wochen im Jahr in einem Pflegeheim versorgen zu lassen, erklärt Sabine Dunkel von der Beratungsstelle für pflegende Angehörige und Patienten der Diakonie Frankfurt am Main.

Zusätzlich könnten die Pflegenden auch die sogenannte Verhinderungspflege in Anspruch nehmen, für die die Kasse ebenfalls bis zu 1550 Euro im Jahr zahle, sagt Dunkel. Im Gegensatz zur Kurzzeitpflege ist dieses Geld dafür gedacht, eine Vertretung zu bezahlen, die den Kranken zu Hause betreut, während der pflegende Partner oder Verwandte sich im Urlaub erholt. Statt einer Fachkraft kann auch eine Nachbarin oder Freundin diese Aufgabe übernehmen.

Doch diese Angebote würden nicht gut genutzt, beobachtet Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP). Nur ein Viertel der Angehörigen greift auf die verschiedenen Möglichkeiten der sogenannten Ersatzpflege zurück, obwohl sie selbst dringend Erholung brauchten. Die Folge: Viele werden selbst krank: Nach den Erfahrungen zeigt ein Fünftel der pflegenden Angehörigen depressive Symptome.

Das Wissensdefizit über die Entlastungsmöglichkeiten ist das größte Problem. Nach den Erfahrungen von Ralf Suhr erreichen die Beratungsangebote viele Pflegende einfach nicht, weil »die Beratungslandschaft ein Dschungel ist«. Es gebe einfach keinen einheitlichen Anlaufpunkt für Hilfesuchende. In jedem Bundesland ist die Beratung anders organisiert.

Ändern sollte das die 2008 angeschobene Einrichtung von Pflegestützpunkten. Doch die Umsetzung lag bei den Ländern und wurde unterschiedlich gehandhabt. Während etwa Rheinland-Pfalz über ein dichtes Netz an Pflegestützpunkten verfügt, sind sie beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern oder Thüringen noch rar.

Teilweise müssen Angehörige sich erst mühsam zur nächsten Beratungsstelle durchfragen. Um die Suche nach dem nächstgelegenen Pflegestützpunkt zu erleichtern, hat das ZQP eine Datenbank ins Internet gestellt, mit deren Hilfe Angehörige und Pflegebedürftige nach den rund 400 Pflegestützpunkten fahnden können.

Wer dort seine Postleitzahl eingibt, wird nicht selten enttäuscht. Oft ist der nächste Pflegestützpunkt weit entfernt. Allerdings bedeutet das nicht, dass es überhaupt keine Beratung in der Nähe gibt. In vielen Gemeinden bieten Kommunen oder Wohlfahrtsverbände Hilfe für Angehörige an. Im Zweifelsfall sollte man bei der Stadt oder Gemeindeverwaltung nachfragen.

Genau diesen Schritt schafften allerdings viele Angehörige neben dem harten Pflegealltag nicht, berichtet Ralf Suhr. »Die Beratung müsste proaktiver sein,« fordert der Pflegeexperte: Sie sollte zu den Menschen nach Hause kommen.

Allerdings sind nicht nur fehlende Informationen Schuld daran, dass sich so wenige Pflegende Urlaub gönnen. Viele wollten ihren kranken Angehörigen auch nicht abgeben, weil sie befürchten, dass ihm die fremde Umgebung schade, sagt Anja Roloff vom AWO-Bundesverband. In diesem Fall könnte auch ein gemeinsamer Urlaub mit dem Pflegebedürftigen eine Lösung sein. Auch dafür gibt es in der Regel Zuschüsse von der Pflegekasse.

CLAUDIA ROMETSCH. epd

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