Der Fluch der rauchenden Oma

  • Reinhard Renneberg, Hongkong, und JoJo Tricolor, Cherville
  • Lesedauer: 2 Min.
Zeichnung: Chow Ming
Zeichnung: Chow Ming

Auch unverbesserliche Marxisten lesen die Bibel, zumindest sollten sie es tun. Dort findet man im ersten der Zehn Gebote: »... denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott, der die Schuld der Väter an den Kindern, am dritten und vierten Geschlecht, nachprüft, bei denen, die mich hassen. Ich erweise aber meine Gnade bis ins tausendste Geschlecht denen, die mich lieben und meine Gebote halten.«

Für einen Biowissenschaftler klingt das sehr modern, Stichwort Epigenetik! Die untersucht direkte Einflüsse der Umwelt auf das Erbgut. Man versteht zunehmend, wie das funktioniert: Entweder wird die DNA direkt modifiziert - oder aber die Histone (das sind Eiweiße, die sie umhüllen). Das Hinzufügen einer Methylgruppe (-CH3) schaltet die jeweiligen Gene aus. Mit einer Acetylgruppe (-COOH) werden sie dagegen aktiviert.

Virender Rehan vom Los Angeles Biomedical Research Institute hat gerade den Einfluss von Nikotin anhand mehrerer Generationen von Ratten verfolgt. Da Ratten von sich aus eher nicht rauchen, wurde das Nikotin trächtigen Ratten injiziert. Danach entwickelten nicht nur deren direkte Nachkommen Asthma, sondern auch ihre Enkel!

Die Epigenetik besagt, dass auch Veränderungen, die ein Organismus im Lauf seines Lebens erwirbt, vererbt werden können. Das galt lange Zeit als unmöglich. Die Zellen wählen dabei gezielt aus, welche Geninformation übertragen und welche übergangen wird. Dieser Prozess wird durch äußere Einflüsse (wie eben Rauchen, aber auch Hunger oder Stress) ausgelöst und chemisch gesteuert.

Die noch junge Epigenetik zeigt, dass das Genom kein endgültiges Urteil für das betreffende Individuum bedeuten muss, sondern seine Ablesung (Expression) vielfach und auf nunmehr erforschbare Weise wandelbar ist. Gene sind also kein unabänderliches »Schicksal«!

Kommt damit der Lamarckismus wieder? Jean Baptiste de Lamarck (1744-1829) vertrat als Erster eine Theorie über die Evolution der Artenvielfalt: »Die Vererbung erworbener Eigenschaften«. Wie sich später zeigte, hatte Lamarck damit zwar eine gute Idee, aber er wählte zur Stütze seiner Theorie ungeeignete Beispiele (z. B. die langen Hälse der Giraffen). Seine Lehre wurde auch politisch missbraucht und damit diskreditiert: Der berühmt-berüchtigte sowjetische Agronom Trofim Denissowitsch Lyssenko benutzte Ideen Lamarcks für den Anbau von Getreide - mit katastrophalen Folgen für die sowjetische Landwirtschaft und Gesellschaft.

Warum muss ich da an unsere rauchende Oma denken? Ich möchte ihr zurufen: »Liebe Oma! Nun, im fortgeschrittenen Alter, kannst Du gern etwas rauchen. Aber als schwangere junge Frau hättest Du das keinesfalls tun sollen. Das baden jetzt epigenetisch deine Enkel aus.«

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