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Rumänien kann sich nicht aus der Misere wählen

Parlamentswahlen am Ende eines »kampfreichen« Jahres

  • Silviu Mihai, Bukarest
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach Massenprotesten, zweimaligem Regierungswechsel und einem gescheiterten Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Traian Basescu wählt Rumänien am Sonntag ein neues Parlament (Abgeordnetenkammer und Senat). Ein Ende der politischen und wirtschaftlichen Krise bringen diese Wahlen jedoch nicht.

Grauer Nebel zieht über die Straßen der rumänischen Hauptstadt, stundenlang stehen die Pendler im Stau, ehe sie nach einem langen Arbeitstag zu Hause ankommen. »Entgegen dem gängigen Vorurteil arbeiten wir viel. Wer in Bukarest überleben will, muss sich auf zwei Jobs oder viele Überstunden einstellen. Hier sind leider nur die Preise wie im Westen«, lacht der Publizist Costi Rogozanu. Die meisten Rumänen sehen das ebenso, sind aber weniger amüsiert. Für viele geht es nur noch bergab. Gemessen an den extrem hohen Erwartungen, die ein Großteil der Bevölkerung mit der EU verband, ist das eine riesige Enttäuschung.

Der Wahlkampf begann zwar offiziell erst Mitte Oktober, doch seit Jahren schon liefern sich das wirtschaftsliberale Lager um Präsident Traian Basescu und die Sozialdemokraten unter Premier Victor Ponta erbitterte Schlachten. Basescu hatte 2010 und 2011, als er noch eine Parlamentsmehrheit hinter sich wusste, drastische Sparmaßnahmen durchgesetzt.

Die Immobilien- und Konsumblase war geplatzt, die Haushaltseinnahmen waren eingebrochen und die westeuropäischen Banken, deren Töchter in Rumänien dominieren, wollten dem Staat partout kein Geld mehr leihen. So beschlossen Basescu und der damalige Regierungschef Emil Boc, einen 20-Milliarden-Euro-Notkredit beim Internationalen Währungsfonds (IWF) aufzunehmen. Der war mit strengen Auflagen verbunden, die der Staatspräsident und seine Liberaldemokratische Partei (PDL) immer wieder nutzten, um Kürzungen von Sozialleistungen zu rechtfertigen. Sämtliche Löhne und Gehälter im öffentlichen Sektor wurden um 25 Prozent gesenkt, wichtige Sozialleistungen gestrichen, Krankenhäuser und Schulen geschlossen, Zehntausende Staatsbedienstete entlassen. Was folgte, waren im Januar dieses Jahres wochenlange Massenproteste in der Bukarester Innenstadt. Regierungschef Emil Boc trat im Februar zurück.

Die Popularität der rechtsliberalen Regierung sank jedoch derart rasant, dass etliche ihrer Mandatsträger zur Opposition überliefen, sodass auch Bocs Nachfolger Mihai Razvan Ungureanu im April durch ein Misstrauensvotum stürzte. Seither regiert die Sozialliberale Union (USL) unter Victor Ponta das Land - in einem harten politischen Machtkampf mit dem Präsidenten.

Während die meisten Rumänen die Proteste der vergangenen Jahre als Forderungen nach mehr sozialer Gerechtigkeit verstehen, gilt dieses Ziel unter Basescus Anhängern schlechthin als illegitim. Die Überzeugung, dass Rentner, Kranke, Sozialhilfeempfänger, Roma und andere Benachteiligte »uns auf der Tasche liegen«, kursiert in Rumänien in einer Form, die in Westeuropa schwer vorstellbar ist.

Schon kurz nach der Regierungsübernahme versuchte die USL, Basescu abzusetzen. Obwohl fast 90 Prozent der Teilnehmer eines Referendums im Sommer dafür stimmten, ging Basescu nicht, denn die Mindestbeteiligung von 50 Prozent war knapp verfehlt worden. Brüssel und Berlin hatten den Präsidenten als Kämpfer gegen Korruption und Garanten des radikalen Sparkurses stets unterstützt. Dagegen wurde das Regierungslager wegen rauen Umgangs mit rechtsstaatlichen Institutionen kritisiert. In der Tat hatte die Parlamentsmehrheit versucht, das Amtsenthebungsverfahren in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zu vereinfachen, um Basescu schnell loszuwerden. Doch auf Druck der EU musste Ministerpräsident Ponta die Turbostrategie aufgeben. »Ich habe meine Lektionen gelernt«, gestand er Journalisten.

Pontas USL dürfte laut Umfragen am Sonntag mit rund 50 Prozent der Stimmen als klare Gewinnerin aus den Parlamentswahlen hervorgehen. Doch Basescu, der den neuen Regierungschef ernennen muss, hat bereits angedeutet, dass er auf keinen Fall Ponta beauftragen werde. Er könne »eine Kröte schlucken, aber kein Schwein«, sagte der Präsident. Der Machtkampf könnte sich also nach den Wahlen weiter zuspitzen.


Lexikon

USL: Die Sozialliberale Union ist das derzeitige Regierungsbündnis. Dessen Hauptkräfte sind Victor Pontas Sozialdemokratische Partei (PSD) und die Nationalliberale Partei (PNL) unter Senatspräsident Crin Antonescu.

ARD: Allianz (Ge)Rechtes Rumänien heißt das Bündnis, das den formell parteilosen Präsidenten Traian Basescu stützt. Partner sind die Liberaldemokraten (PDL), die christdemokratische Bauernpartei, die Partei Bürgerliche Kraft und andere.

PPDD: Die rechtspopulistische Volkspartei des Fernsehmagnaten Dan Diaconescu liegt in Umfragen auf Platz 3.

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