Schneefall, Sturz und Schadenersatz

Winterdienst (1)

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Jedes Jahr aufs Neue werden gerade im Winter Fragen der Verkehrssicherungspflichten sowohl auf den öffentlichen Straßen und Wegen als auch auf Privatgrundstücken und Zuwegungen zu diesen akut.

Aus Anlass eines aktuellen Falles hat der Bundesgerichtshof (BGH) wieder einmal die Grundsätze seiner Rechtsprechung zur winterlichen Räum- und Streupflicht zusammengefasst (Urteil vom 12. Juni 2012, Az. VI ZR 138/11).

Der Fall: Die Klägerin begehrte Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz aufgrund eines Glatteisunfalls. Sie hatte im Auftrag ihrer Arbeitgeberin, eines Pflegedienstunternehmens, am Sonntag, dem 23. Dezember gegen zehn Uhr das Grundstück einer Kundin aufgesucht, um eine Weihnachtsgrußkarte einzuwerfen. Dabei führte von der Straße aus ein etwa zwei Meter breiter Weg auf dem Grundstück zum Hauseingang, den sie benutzen musste. Auf dem Weg vom Eingang zurück zum Fahrzeug auf der Straße kam sie zu Fall.

Doch der BGH hat letztinstanzlich festgestellt, dass Räum- bzw. Streupflichten nicht verletzt wurden. Dabei hat er folgende Grundsätze zusammengefasst:

1. Der Verletzte muss einen Sachverhalt dartun und gegebenenfalls beweisen, aus dem sich ergibt, dass zur Zeit des Unfalls aufgrund der Wetter-, Straßen- oder Wegelage bereits oder noch eine Streupflicht bestand und diese schuldhaft verletzt worden ist.

2. Die winterliche Räum- und Streupflicht setzt eine konkrete Gefahrenlage, d. h. eine Gefährdung durch Glättebildung bzw. Schneebelag voraus. Grundvoraussetzung für die Räum- und Streupflicht auf Straßen oder Wegen ist das Vorliegen einer allgemeinen Glätte und nicht nur das Vorhandensein einzelner Glättestellen.

3. Besteht eine Streupflicht, so richten sich Inhalt und Umfang nach den Einzelfallumständen. Bei öffentlichen Straßen und Gehwegen sind dabei u. a. solche Kriterien wie Art und Wichtigkeit des Verkehrswegs, die Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs zu berücksichtigen.

Mithin besteht die Räum- und Streupflicht nicht uneingeschränkt, sondern unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, wobei es auch auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt.

4. Regelmäßig bestehen nach diesen Grundsätzen Räum- und Streupflichten für die Zeit des normalen Tagesverkehrs - an Sonn- und Feiertagen erst ab 9 Uhr, an Werktagen genügt ab 7 Uhr, in der Regel bis 20 Uhr).

Bei Auftreten von Glätte im Laufe des Tages ist dem Streupflichtigen ein angemessener Zeitraum zuzubilligen, um die erforderlichen Maßnahmen zur Glättebekämpfung zu treffen. Für den Beginn der Streupflicht ist vor allem von Bedeutung, in welchem Maße die erkennbare Wetterlage und die Eigenheiten des Gehwegs Anlass zur Vorsorge gegeben haben.

Da im konkreten Falle eine allgemeine Glätte, die Anlass zur Glättebekämpfung gegeben hätte, nicht feststellbar war bzw. nicht bewiesen wurde, wurde eine Haftung abgelehnt. Der Sturz erfolgte vielmehr auf einer örtlich eingegrenzten Eisfläche (Ausmaß 20 x 30 cm), es konnte nur das Vorhandensein vereinzelter Glättestellen festgestellt werden. Das aber reicht nicht für die Annahme einer Räum- und Streupflicht auf einem Weg aus.

Natürlich können diese Grundsätze nur als Orientierung dienen und ersetzen nicht die Prüfung im Einzelfall.

FRANK AUERBACH, Rechtsanwalt, Berlin

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