Der Überschuss des einen ist das Defizit der anderen

Die deutsche Exportstrategie geht vor allem zu Lasten der anderen Euroländer

  • Tomasz Konicz
  • Lesedauer: 3 Min.
Die deutsche Wirtschaft ist stark auf den Export ausgerichtet. Folglich müssen andere Länder den hiesigen Boom bezahlen.

Meldungen über die deutschen Exporte werden in der Presse längst zu Großereignissen aufgeblasen. Ende November ließ die »Bild«-Zeitung ihre Leser an dem Moment teilhaben, als die Ausfuhren die »Billion-Euro-Schallmauer« überschritten. Im dritten Quartal habe das Ausfuhrenplus um 9,9 Prozent in Länder außerhalb der Eurozone den Einbruch von 3,0 Prozent im Euroraum »mehr als ausgeglichen«, schrieb kürzlich das »Handelsblatt«.

Tatsächlich konnte die Exportwirtschaft den niedrigen Eurokurs dazu nutzen, die Abhängigkeit von der Eurozone zu mindern. Nach einem unveröffentlichten Bericht des Bundesverbandes der Deutschen Industrie sollen im laufenden Jahr 43 Prozent der Exporte in Nicht-EU-Länder gehen - 2009 waren es 38 Prozent. Die größten Zuwächse verzeichnete die deutsche Exportindustrie im dritten Quartal in den USA (25,7 Prozent), Südkorea (15,8 Prozent) und Japan (12,9 Prozent) - während der Absatz in China stagnierte.

Noch aussagekräftiger für die extreme Exportabhängigkeit der BRD ist aber die Entwicklung der Außenhandelsüberschüsse, die 2012 zwischen 174 und 200 Milliarden Euro erreichen dürften. Der daraus resultierende Überschuss in der Leistungsbilanz, die neben dem Warenhandel auch grenzüberschreitende Dienstleistungen und Überweisungen umfasst - laut ifo-Prognose rund 210 Milliarden US-Dollar im Jahr 2012 -, kann nur durch Defizitbildung in Zielländern erreicht werden: Damit die BRD immer höhere Überschüsse erwirtschaften kann, müssen im Ausland jene Verschuldungsprozesse intensiviert werden, die die deutsche Politik in Sonntagsreden verdammt.

In der Periode zwischen Euroeinführung und Krisenausbruch hat die deutsche Exportindus-trie rund 60 Prozent ihrer Handelsüberschüsse gegenüber der Eurozone erwirtschaftet und so zur Entstehung der Schuldenberge maßgeblich beigetragen. Auf 824,2 Milliarden Euro summierte sich der Leistungsbilanzüberschuss gegenüber den Euroländern Ende des ersten Quartals 2012. Inzwischen ist ein Umschwung zu beobachten, bei dem die Handelsüberschüsse Deutschlands mit Südeuropa rasch abschmelzen und dafür die Überschüsse mit den USA, Frankreich und sogar Südostasien ansteigen. Allein gegenüber den USA, denen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) im September eine »viel zu hohe Staatsverschuldung« ankreidete, erzielte die BRD in den ersten drei Quartalen 2012 einen Handelsüberschuss von ca. 27 Milliarden Euro. Gegenüber Frankreich waren es 30 Milliarden.

Mit der Kategorie des Außenbeitrags wird der Anteil der Exportüberschüsse am Wirtschaftswachstum eines Landes gemessen. Zwischen 1970 und 2011 ergibt sich für die BRD ein Außenbeitrag von rund 13 Prozent. Die starke Exportausrichtung kommt im Zeitraum 1999 bis 2008 voll zum Vorschein, als fast die Hälfte des Wachstums auf Handelsüberschüsse entfielen. Den bisherigen Höhepunkt der Exzesse meldete das Statistische Bundesamt bei der Vorstellung der Zahlen für das erste Quartal 2012: Knapp 60 Prozent des deutschen Wirtschaftswachstums wurden durch Schuldenbildung im Ausland generiert.

Dass dies ein Problem für die Eurozone ist, wird inzwischen auch in Brüssel eingesehen. Die EU-Kommission nimmt die Leistungsbilanzen regelmäßig unter die Lupe und kann Strafen verhängen. Derzeit müssen Deutschland und andere Überschussländer aber keine keine Konsequenzen befürchten, wie EU-Währungskommissar Olli Rehn am Dienstag in Brüssel mitteilte.

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