Hindu-Mythos erobert Asiens Spielewelt

Manager und Schachpräsident Maung Maung Lwin aus Myanmar macht den Vorhang auf für Sittuyin

  • René Gralla
  • Lesedauer: 4 Min.

Vorne stehen die gegnerischen Posten in einer leicht versetzten Reihe. Sonst ist weiter nichts zu sehen, und doch liegt Spannung in der Luft. Hinter der Front scheint sich etwas zusammenzubrauen...

So könnte ein bildgewaltiges Epos im Kino beginnen, tatsächlich aber gibt die Szene bloß das wieder, was sich in Myanmar (Burma) seit Jahrhunderten in stark verkleinertem Maßstab auf den 64 Feldern des »Sittuyin« abspielt. Und zwar vor Beginn einer Partie. Dann dürfen die Gegner nämlich - und das ist die Besonderheit dieser eigenwilligen Schachversion - ihre Truppen nach Gutdünken und unabhängig vom Agieren auf der anderen Seite zunächst in Stellung bringen. Früher spannte man dafür sogar eine Art Gardine quer übers Brett.

Die lustige Extraschikane ist inzwischen allerdings fortgefallen, wie Maung Maung Lwin, Präsident des Schachverbandes von Myanmar (MCF), im nd-Gespräch berichtet. Die Aufgabe eines schönen Stückes Tradition, aber um eines größeren Zieles willen. Der MCF-Chef, hauptberuflich Spitzenmanager aus Yangon, möchte mehr Menschen für Burmas Sittuyin begeistern. Nicht nur in dessen Geburtsland, sondern darüber hinaus in ganz Südostasien und weltweit. Und für einen derartigen Export wäre die Vorhang-Regel, meint er, etwas unpraktikabel und hinderlich.

Warum aber sollten Menschen jenseits der Landesgrenzen überhaupt ihr gewohntes Standardschach in die Ecke werfen und zur exotischen Alternative aus Myanmar konvertieren?

Gerade die Freiheit, sich nicht sklavisch an Eröffnungsbücher klammern zu müssen, wie das in der Normalovariante notwendig ist, macht das Eigengewächs äußerst attraktiv. Entsprechend werde das Sittuyin zunehmend »von jungen Leuten in Südostasien geschätzt«, beobachtet Myanmars Schachpräsident Maung Maung Lwin, nachdem er unter internationaler Beteiligung unlängst einen Workshop zum Thema veranstaltet hat.

Der umtriebige Mann hat inzwischen auch ein Einführungshandbuch »How To Play Myanmar Traditional Chess« geschrieben. In Vietnam sind bereits Nachdrucke im Umlauf, und in Thailand wird die Publikation gerade für Schulkinder übersetzt. Der Zeitpunkt, den Beitrag Myanmars zur Familie des Königlichen Spiels global zu promoten, hätte nicht besser gewählt sein können. Im Zuge des demokratischen Transformationsprozesses, der als Folge des Dialogs zwischen der charismatischen Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi und Staatspräsident Thein Sein begonnen hat, wächst das Interessen an Myanmar und an dem, was das Land der tausend Pagoden zu bieten hat.

Ein Spiel wie das Sittuyin, um dessen Brett sich Einheimische und Touristen in friedlichem Wettstreit versammeln können, fördert den interkulturellen Dialog, ohne dass besondere Sprachkenntnisse notwendig wären.

Deswegen ist das Burma-Schach nicht nur für Thailänder und Vietnamesen, sondern auch für europäische Besucher eine echte Entdeckung. Zumal die Ursprünge des Sittuyin weit in die Vergangenheit zurückreichen: Die Auseinandersetzung, die sich die Parteien im Myanmar-Modus liefern, ist ein Hindu-Mythos en miniature. Der gottgleiche König Rama, der in manchen Sets eine grüne Robe trägt, zwingt zusammen mit Hanuman, dem König der Affen, die rote Horde der Dämonen zur Entscheidungsschlacht. Schon während der burmesischen Klassik ab 11. Jahrhundert war das Sittuyin beliebt am Hof. Reizvoll ist auch das asiatische Flair des Spiels: Statt Läufer und Dame sind mit abgewandelter Gangart der »Sin« (dt. Elefant) und der »Sit-ke« (General) im Einsatz. Und jeder Spielsatz ist ein kleines Kunstwerk.

Das Sittuyin aus Myanmar ist folglich ein echtes Angebot für Liebhaber, die intelligentes strategisches Spiel mit kulturhistorischen Studien verbinden mögen. Wobei das keine rückwärts gewandte Angelegenheit ist. Burma-Schach ist neben klassischem Schach bereits in das Programm der 27. Südostasien-Spiele aufgenommen worden, die vom 11. bis 22. Dezember 2013 in Myanmars Hauptstadt Naypyidaw ausgetragen werden - auf Augenhöhe mit körperbetonten Sportarten wie Leichtathletik und Schwimmen, Gymnastik, Boxen und Fußball.

Ein Riesenerfolg für Maung Maung Lwin, den Botschafter des Sittuyin aus Myanmar. Der unternehmungslustige Spielfans zu einem Myanmar-Trip einlädt: »Regelmäßig werden offene Turniere im Sittuyin veranstaltet.« Die nächsten Termine einfach mal bei Google unter »myachess.blogspot.de« plus »myanmar traditional chess« checken - und dann einen Flieger buchen.

Regeln des Sittuyin: myachess.blogspot.de/2012/01/how-to-play-myanmar-traditional-chess-2.html ; Burmaschach-Set kaufen: ancientchess.com

Demo-Film zum Myanmar-Schach Sittuyin

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