Der arge Weg des Gedenkens

Wolfram Kastner über Lehren aus dem Nationalsozialismus

  • Wolfram Kastner
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor 80 Jahren begann das Terrorsystem der Nazis und ihrer Sympathisanten, das im Weltbrand endete. Es verursachte den Mord an Millionen Menschen sowie eine gigantische Umverteilung zugunsten der Raubmörder und ihrer Spießgesellen in Rüstungsindustrie, Wirtschaft und Banken.

Nun also wird gedacht. Am Holocaustgedenktag, am Tag der Machtübernahme, am Tag der Bücherverbrennungen. Erinnert wird an den Terror gegen Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialdemokratie, an die Ausschaltung aller Widerständigen, den Massenmord an den Juden. Gedenken in staatlichen Veranstaltungen und in geordneten Sitzreihen. Feierliche Reden werden gehalten vor geladenen Gästen, die schon alles zu wissen meinen, wohlformuliert und folgenlos - ist es das?

In München, einst »Hauptstadt der Bewegung«, gab es im Polizeipräsidium sogar eine Ausstellung zur Beteiligung der Polizei. Jungpolizisten standen dort etwas ratlos herum. Begriffen haben sie - offenbar ohne Vorbereitung - so gut wie nichts. Nach langen Bemühungen wird 2014 gar ein NS-Dokumentationszentrum eröffnet. Alles gut?

Wenn Erinnerung und Gedenken sich nicht in historisierenden Betroffenheitsübungen erschöpfen sollen, dann ist nach den Wirkungen für heute zu fragen. Wie steht es also um die die Lehren für Gegenwart? Verfassungsschutz und Polizei scheinen Gefahren für die Demokratie nicht in rechtsextremistischen Hetz- und Mordorganisationen zu sehen, sondern eher in den tradierten Feindbildern ihrer Ausbilder: Südländer Typ 2; linke, unkonventionell gekleidete, leicht anarchisch wirkende Jugendliche; Antifaschisten; Kriegsgegner ...

Ein ordentlicher Nazi ist unauffällig und es besteht »kein Anfangsverdacht« bei der Staatsanwältin. Ein Künstler, der eine Ehrenschleife für die Waffen-SS beschneidet, wird verurteilt wegen »gemeinschädlicher Sachbeschädigung«. Geheimdienste haben eine alte Tradition aus Nazizeiten. Millionen Briefe und Pakete wurden verfassungswidrig vernichtet, Telefonate abgehört und gespeichert - von denen, die die Verfassung schützen sollen

Die galoppierende Militarisierung Deutschlands verstößt gegen alle Lehren aus der Kriegsverbrecher-Geschichte. Waren nicht nach 1945 fast alle einig in dem Wunsch »Nie wieder Krieg!«? Deutsche Waffen werden heute an alle »verlässlichen« undemokratischen Partner geliefert. Die Bundeswehr darf mit vollem Waffenarsenal im Inneren eingesetzt werden. Diesen Verstoß gegen das Grundgesetz beschlossen dieselben Politiker, die ein andermal schöne Gedenkreden halten.

In Schulen, Betrieben und Universitäten werden nicht Eigensinn und ziviler Ungehorsam vermittelt und geübt, sondern fragloses Aufgabenlösen für Anpassungsnoten und Numerus Clausus. Das Gerede über soziale Gerechtigkeit ist oft ein erbärmlicher Hohn auf die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben, auf Armut und real existierende Wirtschaftsdiktatur.

Die Lehren für die Gegenwart ziehen aus der NS-Geschichte, aus dem formierten (Un)Rechtsstaat und dem notwendigen Widerstand dagegen, aus den fatalen Folgen von Untertänigkeit und Mitläuferei, das kann nur heißen: Aufstand für eine bessere Zukunft, Rebellion gegen obrigkeitliche Politik, Widerstand gegen Militarisierung, gegen Ausgrenzung und Rechtsextremismus in allen Formen.

Ob das in einer Gedenkrede vorkommt?

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