Herbeigeschriebene »Wutwelle«

MEDIENgedanken: Neuer Rundfunkbeitrag - Abzocke mit System? (I)

  • Heiko Hilker
  • Lesedauer: 4 Min.

In den Zeitungen und Zeitschriften wird derzeit viel über den neuen Rundfunkbeitrag berichtet. Nicht immer stimmen die Fakten und treffen die Argumente. Laut »Spiegel« lehnen 60 Prozent den neuen Rundfunkbeitrag ab, laut ARD sind 75 Prozent dafür. Wie kann das sein? Der »Spiegel« hatte fragen lassen, ob man es für richtig hält, dass auch Haushalte ohne Rundfunkgerät den Beitrag entrichten müssen. Die ARD wollte wissen, ob die Befragten »die Veränderung des neuen Modells« befürworten. Wenn sich für die Mehrheit - die ARD spricht von 90 Prozent - nichts verändert und der Beitrag erstmals seit mehr als 40 Jahren mit einer neuen Gebührenperiode nicht mehr steigt - warum sollen sie dann dagegen sein?

Es heißt, so wird es in den einschlägigen Organen der Gebührengegner wie der »Bild« publiziert, mit 17,98 Euro im Monat seien die Deutschen »Gebührenweltmeister«. Die Briten lägen bei 14,66 Euro, die Franzosen bei 10,41 Euro und die Italiener gar nur bei 9,08 Euro. Doch die Schweden müssen 20,06 Euro zahlen, die Dänen 26,96 Euro, die Norweger 30,39 Euro und die Schweizer liegen mit 31,69 Euro an der Spitze. Deutschland käme also selbst bei einer Europameisterschaft der Gebührenzahler nicht einmal aufs Treppchen.

Allerdings stimmt es, dass in Deutschland mit derzeit ca. 7,53 Milliarden Euro (2011) das Gebührenaufkommen weltweit das höchste ist. Es stimmt allerdings nicht, wie von den Sendern des Öfteren behauptet, dass die Gebühreneinnahmen einbrechen. Auch werden die Radioangebote nicht aus der Fernsehgebühr querfinanziert. Die dazugehörige Rechnung wurde bis heute nicht offengelegt. Bisher mussten die Sender ihren Bedarf für Radio und Fernsehen bei der KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten) getrennt anmelden. Es kann also nur dann eine Quersubventionierung des Radioprogramms mit Fernsehmitteln geben, wenn die ARD gegenüber der KEF falsche Angaben gemacht hat.

Die Sender verweisen darauf, dass der neue Beitrag durch ein Gutachten des früheren Verfassungsrichters Paul Kirchhof abgesichert ist. Doch dieser hatte u.a. gefordert, den Beitrag für die Zweitwohnung abzuschaffen sowie eine Befreiungsmöglichkeit zuzulassen, wenn man nachweisbar Rundfunkangebote nicht empfangen kann. Beides wurde jedoch nicht umgesetzt.

Leider leistet auch die frühere ARD-Vorsitzende Monika Piel dem Argument Vorschub, der Rundfunkbeitrag sei eine Steuer, indem sie darauf hinweist, dass jeder Mensch auch für die Oper oder ein Museum bezahlt, »auch wenn er nie einen Fuß hineinsetzen wird. Der frühere Verfassungsrichter Dieter Grimm weist diesbezüglich zur Recht darauf hin, dass Steuern nicht zweckgebunden erhoben werden. Der Rundfunkbeitrag werde jedoch für einen konkreten Zweck erhoben. Er dient dazu, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sowie die Landesmedienanstalten, die die privaten Sender beaufsichtigen, zu finanzieren.

Sind an allen Problemen nur die Sender schuld? Nun, den Staatsvertrag haben die Ministerpräsidenten gemacht. Nicht die Sender, sondern vor allem die Politiker müssen begründen, warum der Rundfunkbeitrag besser als die Rundfunkgebühr ist. Doch sind sie unter Druck?

2012 gab es 32,5 Millionen private Beitragszahler, weitere drei Millionen waren befreit. Eine »Wutwelle«, wie Zeitungen schreiben, ist nicht zu erkennen. Druck machen nicht die Wählerinnen und Wähler, Druck machen Zeitungen und Zeitschriften sowie einige Unternehmen. Doch in manchen Fällen fragt man sich, ob die von einzelnen Unternehmen angeführte hohe Belastung jetzt nicht auch deshalb so hoch ist, weil man bisher jahrelang der Gebührenpflicht nicht entsprechend nachgekommen ist (im Jahre 2007 zahlte nach Aussagen der GEZ nur jedes dritte Unternehmen Rundfunkgebühr).

Es gibt einige große und viele kleine Ungerechtigkeiten beim Modellwechsel. Großunternehmen sowie die Hotelbranche haben es geschafft, sich zu entlasten. Die von Paul Kirchhof geforderte Befreiungsmöglichkeit für Menschen ohne Empfangsgeräte wurde nicht umgesetzt, der Nachteilsausgleich für Behinderte mit falscher Begründung gestrichen. Muss man nun mindestens drei Jahre warten, bis die Ergebnisse einer von den Politikern angekündigten Evaluierung, mit der die Missstände abgestellt werden sollen, in Gesetzestext gegossen sind?

Der Gesetzestext wird derzeit schon für Kleingärtner und Pflegeheime außer Kraft gesetzt. Dazu reichte jeweils eine Erklärung der Intendanten. Sicher, im Sinne der Betroffenen ist dies richtig. Und es offenbart, dass die Intendanten Spielräume haben, die Fehler der Ministerpräsidenten kurzfristig auszubügeln. So könnten die Probleme von einigen zehn- oder hunderttausend Bürgerinnen und Bürgern oder Unternehmen schnell gelöst werden. Doch bisher reagieren die Anstalten nur, wenn die Ministerpräsidenten dies wollen bzw. um offenkundigen gesetzlich fixierten Irrsinn abzustellen, wenn dieser aus ihrer Sicht ihrem Ruf schaden kann.

Der Autor ist Mitglied des MDR-Rundfunkrats und lebt in Dresden.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal