Brüssels Copy & Paste-Gesetzgeber
Web-Plattform dokumentiert Einfluss von Lobbyisten
Selbst die vehemente Leugnung trotz offensichtlicher Beweise erinnert an bekannte Plagiatsskandale: „Kein Lobbyist sagt mir, wo es lang geht“, schreibt Neelie Kroes am Montag auf ihrem Twitter-Profil. Die EU-Kommissarin für Informationsgesellschaft, Digitales und Medien ist verantwortlich für die neue EU-Datenschutzrichtlinie. Und diese, so belegt nun eine Website, entsteht zum großen Teil durch Vorlagen von Lobbyisten
Lobbyplag.eu heißt die Plattform, die seit Anfang der Woche detailliert den Einfluss von Lobbyisten auf die Arbeit des EU-Parlamentes dokumentiert. Der Journalist Richard Gutjahr ist Initiator des Projekts. Sein Ziel, so sagt er gegenüber der „Welt“, sei es, „transparent zu machen, wer eigentlich an diesen relevanten Texten so mitschreibt.“ Dazu haben er und sein Team Änderungsanträge von EU-Abgeordneten mit Papieren von Lobbyisten verglichen und die Ergebnisse auf einer interaktiven Website zusammengestellt.
Wörtliche Übernahmen von EBay und Amazon
In dutzenden Änderungsanträgen finden sich demnach ganze Absätze, die wortwörtlich mit Vorlagen privater Unternehmen übereinstimmen. Google, Facebook, Amazon, die Schufa, die amerikanische Handelskammer, der europäische Bankenverband: Sie alle haben versucht Einfluss auf die neue EU-Datenschutzverordnung zu nehmen. Das mag nicht verwundern. Erschreckend ist allerdings, wie leicht es ihnen Parlamentarier dabei machen.
So findet sich in der Stellungnahme des EU-Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz eine wortwörtlich abgeschriebene Forderung von Ebay und Amazon wieder. Das Ergebnis: Die Formulierung, wonach die Zustimmung der Betroffenen bei der Verarbeitung von Daten notwendig sei, wird im Änderungsantrag aufgeweicht. An anderer Stelle wird die Pseudonymisierung von Daten gelockert. Als pseudonymisiert sollen Daten nun auch dann gelten, wenn ihre eindeutige personelle Zuordnung "mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand an Zeit, Kosten und Mühen verbunden wäre.“ Ausgedacht, so belegt Lobbyplag, haben sich das u.a. Google, Facebook und Microsoft.
Parlamentarier vertreten Lobbyisten-Interessen
Auch der Europäische Bankenverband schaffte es mit einer Forderung ins Parlament: Er will Daten seiner Kunden auch an Dritte weitergeben dürfen. Eine schwedische Abgeordnete hilft ihm dabei. Das Online-Versandhaus Amazon drängt seinerseits darauf, sich seine zuständige Datenschutzbehörde frei aussuchen zu können. Der deutsche CDU-Politiker Andreas Schwab bringt das Anliegen als Änderungsantrag 179 ins Parlament ein.
Insgesamt listet die Seite über 60 von Lobbyisten-Forderungen beeinflusste Änderungsanträge auf. „Wo immer Abgeordnete überfordert sind, sei es zeitlich, oder auch sonst, sind Lobbyisten zur Stelle, um das jeweilige Vakuum mit ihren Formulierungen zu füllen“, erklärt Richard Gutjahr auf seinem Blog das Verhalten der Abgeordneten. Mit Hilfe von Spenden will er nun seine Plattform in den nächsten Wochen ausbauen und in anderen Gesetztesentwürfen auf Plagiatsjagd gehen. Sein Zwischenfazit zur Arbeit des EU-Parlemts verspricht dafür allerdings nichts Gutes: „Mehr Guttenberg als Schavan“.
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