Der Mann, der den Dritten Weltkrieg verhinderte

Stanislaw Petrow wird mit dem Dresden-Preis ausgezeichnet

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Zum vierten Mal wird dieser Tage der Dresden-Preis für Konfliktprävention verliehen. Kaum ein Empfänger verdient ihn so wie Stanislaw Petrow, der 1983 einen Krieg verhinderte.

Wie würde sich ein Ingenieur entscheiden, wenn ihm der Computer eine Information mitteilt und seine Sinne eine entgegengesetzte? Viele würden wohl der Technik trauen, zumal, wenn nichts auf einen Defekt der Technik deutet. Stanislaw Petrow aber blieb misstrauisch - und verhinderte so kurz nach Mitternacht am 26. September 1983 nicht weniger als eine atomare Schlacht zwischen der UdSSR und den USA. Er ist, heißt es seither regelmäßig, der Mann, der »den Dritten Weltkrieg verhinderte«.

Am 17. Februar wird dem 73-jährigen Rentner in der Semperoper eine große Ehrung zuteil: Er erhält den »Dresden-Preis« und steht dann in einer Reihe mit Michail Gorbatschow, dem Dirigenten Daniel Barenboim und dem Fotograf James Nachtwey. Trotz der großen Namen lässt sich wohl sagen, dass keiner die Ehrung so verdient wie Petrow. Sie wird verliehen für die Prävention von Gewalt und Konflikten. Der Konflikt, den Petrow 1983 verhinderte, hätte - so kann man ohne Übertreibung feststellen - das Zeug gehabt, die Welt zu vernichten.

Vor 30 Jahren diente Petrow in einem Zentrum zur Luftüberwachung nahe Moskau, das die Abschussrampen der US-Interkontinentalraketen im Blick hatte. Um 0.15 Uhr blinkte auf einem Monitor das Wort »Start« auf: Das System meldete den Abschuss einer Rakete - mit einer Wahrscheinlichkeit der höchsten Kategorie. Danach wurden in kurzen Abständen vier weitere Raketen vermeldet. Die optische Überwachung per Satellit bestätigte die Information nicht, widerlegte sie aber auch nicht: Die Rampe wurde dort lokalisiert, wo Tag- und Nachthimmel ineinander übergingen.

Petrow musste in größter Hektik entscheiden - und obwohl die Chancen 50 : 50 gestanden hätten, plädierte er wiederholt auf Fehlalarm. Ein ausgebildeter Militär, sagt er heute, hätte sich vermutlich anders entschieden: »Sie wollen kämpfen. Das ist ihr Job.« Er aber, sagt er, habe nicht an einem Dritten Weltkrieg Schuld haben wollen. Er habe, meint Nobelpreisträger Günter Blobel, der den Preis in Dresden mit ins Leben rief, »nicht als Techniker oder Offizier entschieden, sondern als Mensch«.

Das ist um so bemerkenswerter, als das weltpolitische Klima in jenem Jahr 1983 aufgeheizt gewesen sei bis zum Siedepunkt, sagt die Dresdner Journalistin Heidrun Hannusch, die die Preisverleihung organisiert. Im Januar 1983 hatte der damalige US-Präsident Ronald Reagan die »Star Wars«-Initiative bekannt gegeben. In Mitteleuropa eskalierte die Auseinandersetzung um die Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen. Im Oktober gingen allein in der Bundesrepublik 1,2 Millionen Menschen dagegen auf die Straße. Zuvor hatte indes am 1. September die Sowjetunion ein südkoreanisches Passagierflugzeug abgeschossen, weil sie einen Spionageflieger vermutete. Und im Kino lief der Film »War Games«. Darin geht es um einen Computerhacker, der in das US-Abwehrsystem eindringt und einen falschen Alarm auslöst. Die Welt stand kurz vor dem Krieg.

Wie nahe das Filmszenario der Realität kam, erfuhr die Welt erst 1993, als ein früherer Vorgesetzter Petrows den Vorfall enthüllte. Im Westen gab es viel Aufmerksamkeit und den Preis als »World Citizen«; derzeit wird in Skandinavien eine Doku-Fiktion gedreht. In Russland wird die Tat Petrows, der heute einsam in einer maroden Plattenbausiedlung bei Moskau lebt, kaum gewürdigt, erzählt Hannusch, die ihn in Frjasino besuchte. Als Helden, so ihr Eindruck, gelten noch immer eher Menschen, die Kriege gewannen. Immerhin: Als die Dresdner Ehrung bekannt wurde, interessierten sich auch russische Journalisten für den Mann, der 1983 einen atomaren Krieg unterband.

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