Astana, aus der Steppe gestampft

In Kasachstans Hauptstadt will man der Zeit voraus sein

Das soll der Höhepunkt aller bisherigen kasachischen Auftritte auf der internationalen Bühne werden: 2017 wird die neue Hauptstadt Astana die Weltausstellung Expo ausrichten. Doch schon jetzt will das Land seiner Zeit voraus sein.

Es ist wie ein galaktischer Trip in die Zukunft. Zunächst führt eine scheinbar endlos lange Straße raus aus der Gegenwart. Ungefähr 20 Kilometer lang, leitet sie schnurgerade durch das Nichts. Links und rechts: Steppe. Dann, wie aus dem Boden geschossen: Hochhäuser aus verspiegeltem Glas, zwei Türme aus Gold, eine Pyramide, ein Nachbau des Weißen Hauses mit riesiger Antenne und ein überdimensioniertes Zirkuszelt.

Wir sind angekommen in der kasachischen Hauptstadt Astana. Es ist kalt, so kalt, dass ein einziger Atemzug die Nasenhaare gefrieren lässt. Minus 35 Grad am Tag, minus 45 in der Nacht. Die wenigen Bäume, die das wasserarme Kontinentalklima hier zulässt, blinken unnatürlich grün. Wenn man genau hinsieht, wird klar, dass die Gesetze der Natur hier nicht gelten. Die kahlen Äste tragen ein sattes Kleid aus LED-Lämpchen. Die Form der Leuchten ist echten Blättern nachempfunden.

Diese Stadt, sie passt zu einem Land, das sich als modern, innovativ, offen, auf jeden Fall visionär, ästhetisch, aber hart an der Grenze zur Extravaganz präsentiert. Bauwerke, die in jeder anderen Stadt als monumentales Jahrhundertprojekt angekündigt und gebaut worden wären, sind hier in wenigen Monaten nach Plänen von Stararchitekten wie Norman Foster aus dem Boden gestampft worden. Wir sind nur drei Tage hier, um uns erklären zu lassen, wie dieses Land, seine Menschen und ihr Präsident auf sich selbst und die Welt blicken.

Ein Wohnhaus mit Skipiste auf dem Dach

Amanshol Tschikanajew ist stellvertretender Direktor eines Forschungsprojekts im Ministerium für Stadtentwicklung. Er steht mit Schapka und Pelzmantel vor uns und erklärt die städtebaulichen Visionen seines Präsidenten, der den Masterplan für Astana, seine selbst geschaffene Hauptstadt, in der Hand hält. »Astana liebt Norman Foster und Norman Foster liebt uns«, scherzt Tschikanajew, als er das dritte Bauwerk aufzählt, das der britische Baukünstler, der schon die Reichstagskuppel und den als Essiggurke verspotteten Swiss-Re-Tower in London entworfen hat, in der Stadtmitte plant.

Das »Abu Dhabi Plaza« ist ein riesiger Wohn- und Einkaufskomplex. Die Entwürfe an der Wand erinnern an das Filmplakat des Stummfilmklassikers »Metropolis« und lassen ahnen: Auch dieses Gebäude ist kein Ausdruck architektonischen Understatements.

Und es wird nicht das einzige bleiben. In einem Büro des Ministeriums, in das uns Tschikanajew führt, ist auf rund 30 Quadratmetern ein Modell der künftigen Stadt aufgebaut. Die weißen Papphäuschen sind bereits gebaut, die blauen werden noch entstehen - so gut wie alles auf dem Plan ist blau. Auf einem der neuen Gebäude erkennt man Menschen, vereinzelt sind sie auf die terrassenartig angelegten Dächer geklebt. Was soll das sein? Die Antwort Tschikanajews ist trocken: nichts Außergewöhnliches. Dort entsteht ein Wohnhaus mit einer kilometerlangen Skipiste auf dem Dach, samt Lift.

Das heutige Stadtzentrum ist in dem Modell ein kleiner weißer Fleck inmitten von hellblauem Gigantismus. Deutlich wird: Astana funktioniert wie eine Zelle, die unaufhörlich wächst. Nichts an der Ästhetik dieser Stadt ist schlicht funktional, stattdessen hat alles Bedeutung.

Die drei herausragenden Gebäude im Zentrum bilden eine Linie, und natürlich hat die einen Namen: »Millennium«. In der Mitte der Baiterek-Turm, der »Baum des Lebens«. Er ist 97 Meter hoch (1997 wurde Astana zur Hauptstadt ernannt) und liegt genau zwischen Präsidentenpalast (dem Weißen Haus mit Antenne) und »Khan Shatyr«, einer überdimensionierten Jurte aus Glas (das Zirkuszelt), in der ein Einkaufszentrum und ein Vergnügungspark samt Palmenstrand stecken. Die jahrhundertealte Kultur Kasachstans zwängt sich in futuristische Formen, die Architekten wie Foster vorgeben.

Der goldene Handabdruck des Präsidenten

Oben auf dem Baiterek wird die Modellstadt aus dem Ministerium Wirklichkeit und die endlose Weite hinter den Wolkenkratzern lässt ahnen, wohin mit all der blauen Pappmaschee. Eine kleine Gruppe aus alten und sehr jungen Menschen, Russen und Kasachen, sammelt sich um eine grüne Marmorsäule. Sie interessieren sich nicht sonderlich für den atemberaubenden Ausblick. Sie wollen ihre Hand in den goldenen Handabdruck des Präsidenten legen, der in der Säule eingefasst ist. Das bringt Glück und man hat einen Wunsch frei.

Erst vor 15 Jahren hat Präsidenten Nursultan Nasarbajew, seit der Unabhängigkeitserklärung 1991 im Amt, Astana zur Hauptstadt gemacht. Almaty, die alte, gewachsene Metropole, ist und bleibt das kulturelle Zentrum. Wegen der dezentralen Lage und der Erdbebengefahr wurde Almaty aber als Hauptstadt aufgegeben. Auf kasachisch bedeutet »Astana« schlicht Hauptstadt. Bis zum Umzug war die Gegend, sagt man uns, quasi wie ausgestorben. Heute ist Astana mit mehr als 700 000 Einwohnern doppelt so groß wie vor zehn Jahren. Bis zum Jahr 2030 wird sich die Einwohnerzahl noch einmal verdoppeln und mit ihr die Stadt, die so expressiv das kasachische Selbstbewusstsein verkörpert. Die Wirtschaft boomt dank riesiger Öl-, Kohle, Gas- und Uranvorkommen. Kasachstans Volkswirtschaft ist größer als die aller anderen zentralasiatischen Staaten zusammen und ein Wachstum von sechs Prozent mittlerweile Normalität. Bis zum Jahr 2015 will Kasachstan laut präsidialer Planung auf dem Index der 50 wettbewerbsfähigsten Staaten der Welt stehen.

Eines der vielen großen Vorhaben ist die Ausrichtung der Weltausstellung Expo im Jahr 2017. Astana hatte sich neben dem belgischen Lüttich beworben, um zu zeigen: Wir können es. Nun also die Expo. Noch sind gut vier Jahre Zeit, aber auf der Homepage zur Weltausstellung werden schon Tage, Stunden und Minuten gezählt.

Mit dem Titel »Energien der Zukunft« hat Astana thematisch auf ein sicheres Pferd gesetzt. Auch für Kasachstan werden alternative Energien an Bedeutung gewinnen, so abwegig das klingen mag in einem Land, in dessen Böden 20 Prozent der weltweiten Uranvorkommen und 34 Milliarden Tonnen Kohle schlummern. Aber die fossilen Rohstoffe wie Kohle und Gas werden bei der derzeitigen Abbaugeschwindigkeit nur etwa 60 bis 70 Jahre ausreichen, erzählt uns Albert Rau, der Vizechef im Technologieministerium. Am Rande Astanas sollen sogenannte Eco-Villages entstehen, kleine Wohneinheiten, die sich ganz aus erneuerbaren Energien versorgen. An der Nasarbajew-Universität werden komplette Studiengänge mit dem Schwerpunkt neue Energien entwickelt. »Dieses Engagement hat mit Sicherheit dazu geführt, dass Astana über 60 Stimmen mehr bekam als Lüttich«, sagt stolz Aidar Kasybajew, Vorsitzender des Handelsausschusses, als er uns die Pläne für die Expo erklärt. Eine so eindeutige Entscheidung sei in der Geschichte der Weltausstellung bisher einzigartig. »Die Expo wird das größte Projekt des Landes seit der Unabhängigkeitserklärung«, verspricht Kasybajew.

Störenfried im schönen Optimismus

Bei all dem zur Schau gestellten Optimismus stören Menschen wie Wadim Kuramschin. Wir unterhalten uns mit einem Politiker der Oppositionspartei Ak Schol (Lichter Weg) über die politische Situation. Die liberale Ak Schol ist, wie alle Parteien im Parlament, präsidententreu. Der Abgeordnete hat den Namen Wadim Kuramschin noch nie gehört, wird aber trotzdem bei der Frage nach ihm laut. Kuramschin setzt sich seit Jahren für die Rechte von Gefangenen in Kasachstan ein. Fünf Tage vor unserem Besuch wurde er von einem Gericht in Schambyl, im Süden des Landes, zu zwölf Jahren Haft verurteilt, nachdem er ursprünglich im August 2012 von einem anderen Gericht freigesprochen worden war. »Manche dieser Menschen, die viel Aufmerksamkeit im Ausland erhalten, verfolgen nur ihre eigenen Ziele«, meint der Politiker zu wissen. »Niemand von außerhalb kann so sehr am Wohl des Landes interessiert sein wie die Kasachen selbst«, sagt er, und wir wechseln zum nächsten Thema.

Präsident Nasarbajew hat inzwischen eine Art Wegweiser bis zum Jahr 2050 herausgegeben. Auf 60 Seiten gibt er Antworten auf die von ihm erkannten globalen und nationalen Herausforderungen. »Wenn wir stark sein werden, wird man uns respektieren. Wenn wir auf ein Wunder hoffen oder uns auf andere verlassen, werden wir das Erreichte wieder verlieren«, heißt es da. Die Zukunft ist das, was der Präsident daraus macht.

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