Häftlingstod wühlt Palästina auf

UNO will untersuchen lassen, warum Arafat Dscharadat in israelischer Haft starb

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach dem Tod eines Palästinensers in israelischer Haft spitzen sich die Proteste im Westjordanland zu. Bei den Auseinandersetzungen mit Israels Armee und Siedlern wurden mindestens 20 Menschen verletzt. Palästinas Regierung hat dazu aufgerufen, auf Gewalt zu verzichten, und hat dennoch Schwierigkeiten, die Protestbewegung zu steuern.

Am Dienstagmorgen schlug in einem Industriegebiet von Aschkelon eine Rakete ein. Das Besondere: Nicht die Hamas, sondern die Al-Aksa-Brigaden, ein Verbund aus Kampfgruppen, die der im Westjordanland regierenden Fatah nahestehen, hatten die Rakete abgeschossen, die zudem von jener Bauart war, deren Technologie aus dem Ausland kommt.

Beides, die Aktivität der Al-Aksa-Brigaden im von der Hamas kontrollierten Gaza-Streifen und das Raketenmodell deuten darauf hin, dass der Abschuss mit Billigung der Hamas erfolgte. Doch die bestreitet, dass es überhaupt einen Raketenabschuss gegeben habe. Israels Regierung suche nach einem Vorwand, den Gaza-Streifen erneut anzugreifen, heißt es in einer Erklärung der Hamas-Regierung. Damit wolle man von der Lage im Westjordanland ablenken.

Dort gab es am Dienstag erneut Auseinandersetzungen zwischen Militär und Demonstranten, deren Zahl stetig zunimmt. Proteste hatte es bereits seit Wochen immer wieder gegeben. Doch seit am Sonnabend ein 30-jähriger Palästinenser in israelischer Haft starb, eskaliert die Lage. Die palästinensische Regierung wirft Israels Inlandsgeheimdienst Schin Beth vor, Arafat Dscharadat gefoltert zu haben; die Autopsie habe Anzeichen »extremer Folter« ergeben, sagte der Minister für Gefangenenangelegenheiten, Issa Karaka. Israel, in dessen forensischem Institut die Leichenschau in Anwesenheit des palästinensischen Arztes Saber Alul stattfand, erklärte, die Verletzungen, Rippenbrüche und mehrere Hämatome, seien auf die Wiederbelebungsversuche zurückzuführen; die Todesursache als solche werde erst nach der Auswertung von Blut- und Gewebeproben feststehen.

Palästinas Regierung fordert nun eine unabhängige Untersuchung durch die Vereinten Nationen, der sich das forensische Institut nicht in den Weg stellen werde, wie ein Sprecher der Einrichtung betont. Aber auch wenn sich die palästinensischen Angaben dabei als nicht haltbar erweisen sollten - den Foltervorwurf würde das nicht aus der Welt schaffen. Viele potenziell tödliche physische und psychische Methoden, Druck auszuüben, hinterlassen keine direkten Spuren am und im Körper - Schlafentzug zum Beispiel.

Israels Regierung wirft den Palästinensern nun vor, den Tod dazu zu benutzen, um Gewalt gegen Israelis zu rechtfertigen. Premierminister Benjamin Netanjahu forderte, Präsident Mahmud Abbas müsse die Demonstrationen vollständig stoppen.

Doch das ist ihm kaum möglich. Für die Menschen war der Tod Dscharadats, dem vorgeworfen wurde, Brandbomben auf Autos geworfen zu haben, der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Friedensverhandlungen sind komplett eingestellt, die Übergriffe von Siedlern auf Palästinenser haben zugenommen und das Militär taucht immer öfter in palästinensischen Städten auf, häufig ohne erkennbaren Grund.

Abbas steht ohnehin in der Kritik, weil er als Erfüllungsgehilfe Israels gesehen wird. Würde er versuchen, die Proteste zu unterbinden, vielleicht sogar durch die Sicherheitskräfte, lenkte dies den Zorn der Menschen auf ihn selbst.

Längst spekulieren Medien und Bevölkerung auf beiden Seiten, ob dies der Beginn der dritten Intifada ist. In den kommenden Tagen soll Netanjahu dem israelischen Parlament erklären, wie er verhindern will, dass das passiert.

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