Nur für Deutsche
Kein Hartz IV mehr für EU-Bürger - viele Betroffene wehren sich dagegen
Anfangs dachte Guilia Tosti noch, das Amt hätte einfach vergessen, ihr das Geld zu überweisen. Doch als die Italienerin im März 2012 in einem Berliner Jobcenter vorstellig wurde, fiel sie aus allen Wolken. Ohne sie zu informieren, hatte man ihr die Hartz-IV-Leistungen einfach gestrichen. So wie der Kunsthistorikerin, die nach ihrer Entlassung bei einer Berliner Galerie auf das Arbeitslosengeld II angewiesen war, erging es im letzten Frühjahr Tausenden Betroffenen in der Hauptstadt. Keiner von ihnen begriff, was da vor sich ging.
»In einer Nacht- und Nebelaktion hatte die Bundesregierung im November 2011 einen Vorbehalt gegen das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) eingelegt«, erläuterte der Anwalt Lutz Achenbach auf einer Pressekonferenz am Dienstag in Berlin. Laut dem Abkommen aus dem Jahre 1953 ist Deutschland verpflichtet, den Staatsangehörigen der Unterzeichnerländer die gleichen Fürsorgeleistungen zu gewähren wie den eigenen Bürgern.
Dazu zählten auch Hartz-IV-Leistungen. Die gab es aber nur, wenn der Antragsteller nicht »allein aus dem Zweck der Arbeitsuche« in die Bundesrepublik gekommen war. Zudem musste man zuvor mindestens drei Monate in der Bundesrepublik gelebt haben. Trotz dieser Einschränkungen bekam man in Berlin kalte Füße.
»Offenbar hat die Bundesregierung Angst davor, dass Menschen aus ganz Europa zum Hartz-IV-Bezug nach Deutschland kommen«, vermutet Sebastian Müller vom Berliner Netzwerk gegen den deutschen EFA-Vorbehalt.
Und so zog man gestern nach einem Jahr Bilanz. Am 23. Februar 2012 waren die Jobcenter per Geschäftsanweisung von der Bundesagentur für Arbeit aufgefordert worden, zukünftig keine Hartz-IV-Leistungen an EU-Bürger mehr auszuzahlen. Die Ämter vor Ort kamen dem nach und hatten für die Betroffenen statt Geld nur noch gute Ratschläge übrig: »Als ich im Jobcenter fragte, wie ich denn überleben soll, riet man mir, nach Italien zurückzugehen oder einen reichen Deutschen zu heiraten«, so Guilia Tosti.
Dabei steht der deutsche Vorbehalt auf wackeligen Füßen, wie Anwalt Achenbach erklärte. Zum einen sei ein Vorbehalt nur bei neuen Gesetzen des Unterzeichnerstaates vorgesehen. Die Hartz-Gesetze waren zum Zeitpunkt des deutschen Vorbehalts aber schon sechs Jahre alt. Zudem erinnerte Achenbach an eine 2010 in Kraft getretene EU-Verordnung, wonach in der Gemeinschaft ein »Gleichbehandlungsgebot in Bezug auf Sozialleistungen« bestehe.
Auch viele Richter teilen offenbar die Bedenken Achenbachs. So seien Eilverfahren vorm Berliner Sozialgericht in mehr als der Hälfte aller Fälle erfolgreich, betonte der Jurist.
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