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Unvernünftige Unschuld

Die Selbstverbrennungen tibetischer Mönche

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Hans Magnus Enzensberger schrieb einen Essay über den »radikalen Verlierer«. Der ist ein globalisiertes Wesen, »er sammelt Energie und wartet auf seine Stunde«. Der Terrorist in umkämpften Regionen, der Selbstmordattentäter in Metropolen, der Amokläufer in Schulen. Ist auch der Buddhist, der sich mit Benzin übergießt und anzündet, da einzuordnen?

Immer größer wird die Zahl derer, die sich aus Protest gegen die Politik des Pekinger Regimes verbrennen. Die Reaktionen darauf? Religiöser Lehrenstreit, ideologischer Rumor, betroffenes Schweigen. In Chinas Staatsfernsehen war zu hören, nicht wenige der tibetischen Mönche, die sich selbst verbrannten, seien »Werkzeuge« reaktionärer Nationalisten.

Zunächst ein Blick auf den Selbstmordattentäter der religiösen Verwirrung, den Terroristen der politischen Verstiegenheit und den Amokläufer der böse kitzelnden Rachsucht - sie alle sind Krieger jener modernen Schlacht, bei der Gegenwehr letztlich auch nur Infektion bedeutet. Das ist Dialektik in einer ihrer furchtbarsten Ausdrucksformen: Wer gegen den Terrorismus kämpft, ist nach Prüfung der dafür eingesetzten Mittel eindeutig ein Gefangener der Gegenseite. Denn der Zivilisationsverlust im Namen nationaler Sicherheiten ist unübersehbar; rasant steigen Macht und Einflüsse der politischen Polizei, der Geheimdienste, der Rüstungsindustrie; Parlamente sehen sich verführt zu immer stärkerer Eindämmung historisch erkämpfter Freiheitsrechte. Und noch bei jedem Amokläufer tritt ein Erschrecken darüber ein, wie billig doch die Gründe sein können, dass einer seinen Mitmenschen den Tod wünscht, und irgendwie scheint er ja durchaus in unsere Welt zu passen, in der auch wir Friedlichen uns mehr und mehr entnervt, explosionsgefährdet umsehen.

Die Selbstverbrennung tibetischer Mönche aber ist kaum in solche Zusammenhänge zu pressen. Wer sich selbst verbrennt, isoliert sich durch einen rational nicht erfassbaren Schmerz, über den nachzudenken alle Phantasien von Orten hochgehender Bomben maßlos übersteigt. Also trägt die Motivlage Adelszeichen einer als sehr hoch zu vermutenden Moral.

Die Renaissance der Selbstverbrennung als politischer Protest ist auf 1963 zu datieren. Der Mönch Thich Quang Duc entzündete sich in Südvietnam - nach einem Massaker, das Soldaten des Diem-Regimes an demonstrierenden Buddhisten verübt hatten. Bald würde Diem gestürzt werden, und die Tat des Mönchs, inspiriert vom Sterbefasten Mahatma Gandhis, galt fortan als wichtiger Impuls für den Systemwechsel.

War im Mittelalter der Feuertod auf dem Scheiterhaufen »eine speiende Missachtung des Lebendigen wie nichts anderes« (Schiller), so wurde die Selbstverbrennung später zum Fanal, so paradox es klingen mag - der Würde. Besagter Mönch Thich Quang Duc saß ungerührt im Lotussitz und feierte auf peinigende Weise das Ideal des ausgeglichenen Geisteszustandes in der Todesstunde.

Wer sich auf solche rein selbstbezogene Weise die entsetzliche Freiheit nimmt, Leben zurückzunehmen in eine Unantastbarkeit, die nur der Tod gewähren kann - der trifft eine politische Macht vielleicht weit mehr und macht sie hilfloser als der aggressive Attentäter, der sich mit dem einkalkulierten Tod Unschuldiger zum Massenmörder bombt, schießt.

Inbegriffe der Gewaltlosigkeit: Der Student Jan Palach verbrannte sich 1969 auf dem Prager Wenzelsplatz aus Protest gegen russische Panzer; der Pfarrer Oskar Brüsewitz starb 1973 in Zeitz in den Flammen, weil er ein Zeichen gegen den SED-Staat setzen wollte. Wolf Biermann sprach damals von einer »Republikflucht in den Tod«, und griff wohl zu einem falschen Bild. Denn Selbstverbrennung ist die grausamste Art, anwesend zu bleiben, als Albtraum, es ist eine Tat, um sich - ja! - in Gedächtnisse zu brennen.

Jedes Regime weiß mit Feinden umzugehen, sobald diese Flagge zeigen, Waffen zücken, Angriffe starten. Gegen Menschen, die sich anzünden, versiegt der Mechanismus der Niederschlagung. Alles tut Not, um Menschen von so etwas abzuhalten, und Selbstverbrennung bleibt den Buddhisten ein heikles Thema, aber: Mit jedem dieser Freitode steht China nackter da. So entsteht entsetzlichster Sinn.

»Aus meinem Munde bricht der Schrei, dass alles absurd ist.« So Albert Camus. Er hielt Selbstmord für das große philosophische Problem. Für ihn bestand die Revolte darin, am Leben zu bleiben. Das sei zwar Beteiligung an einer elenden Unabänderlichkeit und mache also schuldig, aber Leben sei »das Prinzip einer doch sehr vernünftigen Schuld«. Mönche, die sich verbrennen, versuchen eine unvernünftige Unschuld.

Der Lauf der Welt: ein Marathon. Das Menschenopfer bleibt der treueste Teilnehmer.

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