DOK Leipzig 2025: Film mit Wermutstropfen

Auf dem diesjährigen Leipziger DOK-Filmfestival wurde auch über die Zukunft unter neuer Leitung diskutiert

  • Larissa Kunert
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Systemwechsel hat Spuren in der Landschaft und den Köpfen hinterlassen. Szene aus »Weißer Rauch über Schwarze Pumpe« von Martin Gressmann
Der Systemwechsel hat Spuren in der Landschaft und den Köpfen hinterlassen. Szene aus »Weißer Rauch über Schwarze Pumpe« von Martin Gressmann

Einen (guten) Dokumentarfilm zu machen, ist nicht unbedingt leicht. Man muss dafür aber weder weit reisen, noch sich in ein fremdes Soziotop wagen – die eigene Familie gibt schon genug Stoff her, an dem man sich abarbeiten kann. Es verwundert also nicht, dass auf dem diesjährigen »DOK Leipzig« (27. Oktober bis 2. November) wieder einmal viele Familienfilme gezeigt wurden. Laura Coppens etwa beschäftigte sich in »Sedimente« mit der Biografie ihres Großvaters, der als Arzt in der DDR mit der Stasi zusammenarbeitete. Seine Großmutter, die nach Jahrzehnten harter Gastarbeit wieder in ihr Heimatland Italien zog, porträtiert Vincent Graf in »Nonna«.

In »A Scary Movie« nimmt Sergio Oksman seinen zwölfjährigen Sohn Nuno, der gerade begonnen hat, sich für Horrorfilme zu interessieren, mit in ein verlassenes Lissaboner Hotel. Dort stellen die beiden Szenen aus Stanley Kubricks Klassiker »Shining« (1980) nach. Es entsteht so eine humorvolle Reflexion auf das Horrorgenre. Oksmans Film fragt: Müssen wir die Gespenster nicht eigentlich im Alltäglichen suchen? In »The Red Moon Eclipse« verwebt Caroline Guimbal filmisch das Leben ihrer Mutter, die unheilbar an Krebs erkrankt ist, mit ihrer eigenen Schwangerschaft. Ein berührender Film mit Wermutstropfen: Allzu sehr wird hier suggeriert, dass die Krankheit der Mutter auf Existenzängste und Gewalterfahrungen in einem patriarchalen System zurückgeht.

Die Familienthematik ist nicht die einzige, die sich aus dem Wettbewerbsprogramm des Festivals als Schwerpunkt herauskristallisierte. Einen weiteren bildeten etwa Filme, die Tiere, Artensterben und den Raubbau des Menschen an der Natur zum Gegenstand hatten. Nikolaus Geyrhalter zum Beispiel ist für seinen Film »Melt« an verschiedene Orte rund um den Globus gefahren, die (noch) ganzjährig von Schnee bedeckt sind, und hat mit den dort lebenden Menschen gesprochen.

Serge-Olivier Rondeau hat einen Film, »The Inheritors«, über eine der weltweit größten Ringschnabelmöwen-Kolonien gedreht. Und Terra Long hat im Film »BAEA« den Alltag in einer Tierauffangstation in Kanada eingefangen. Das Thema Artensterben ließ sich sogar im Bereich Animation finden: Der dreiminütige Essayfilm »EX-tract« mit tuschegezeichneten Tieren von Marcel Barelli erinnerte die Zuschauenden daran, dass die Menschheit äußerst vergesslich ist. Werden zukünftige Generationen, fragt Barelli, überhaupt ausgestorbene Tierarten betrauern, wenn sie ihnen nie selbst begegnet sind?

Für die Leserinnen und Leser von »nd« dürfte neben dem oben erwähnten Film »Sedimente« noch ein anderer im Wettbewerb gezeigter Film von besonderem Interesse sein: »Weißer Rauch über Schwarze Pumpe« von Martin Gressmann. Er zeigt Aufnahmen eines alten Films, den Peter Badel und Dieter Chill in den Jahren 1990 und 1991 gedreht hatten, im Wechsel mit neueren Aufnahmen aus den Jahren 2019 bis 2025, die von Gressmann und Badel stammen. Es geht um das Leben in der und um die Lausitzer Kleinstadt Schwarze Pumpe, mittlerweile Ortsteil der brandenburgischen Stadt Spremberg. Nach dem Ende der DDR wurde hier die Braunkohleindustrie abgewickelt, Zehntausende verloren ihre Arbeitsplätze. Wie geht es nun weiter?

In den alten Aufnahmen kommen viele unterschiedliche Menschen aus der Region zu Wort. Manche sind verzweifelt, manche desillusioniert und gleichgültig, andere hoffnungsvoll und pragmatisch. Drei Jahrzehnte später können einige von ihnen Auskunft darüber geben, wie es ihnen ergangen ist. Und die neueren Aufnahmen zeigen, dass der Systemwechsel Spuren in der Landschaft und den Köpfen hinterlassen hat.

Dass DOK Leipzig experimentierfreudig bleibt, zeigte sich in diesem Jahr etwa an der ersten intensiven Zusammenarbeit mit einem anderen Filmfestival. Im Rahmen einer Hommage an das international wandernde Festival »Punto y Raya«, das sich dem abstrakten Animationsfilm verschrieben hat, wurden in Leipzig Filme aus dessen Programm gezeigt. So viele psychedelische Bilder gab es in Leipziger Kinosälen vielleicht noch nie.

So viele psychedelische Bilder gab es in Leipziger Kinosälen noch nie.

Freilich gehören solche Filmreihen eher nicht zur Kulturindustrie, die die Massen anzieht. Dass sie und viele andere künstlerisch anspruchsvolle Filme öffentlich gezeigt werden können, verdankt das DOK-Filmfestival auch seiner Finanzierung durch öffentliche Gelder. Der größte Teil des Budgets kommt vom Freistaat Sachsen und von der Stadt Leipzig. Doch wie sicher ist diese Finanzierung in der Zukunft? Darüber, unter anderem, diskutierten Christoph Terhechte und Ola Staszel im Rahmen eines offenen Podiumsgesprächs am vergangenen Donnerstag.

Der Journalist und Filmkritiker Terhechte ist scheidender Leiter des DOK-Filmfestivals. 2020 hatte er die Leitung übernommen, nun übergibt er den Posten aus gesundheitlichen Gründen zwei Jahre früher als geplant. Seine designierte Nachfolgerin, die gebürtige Polin Aleksandra »Ola« Staszel, ist studierte Filmwissenschaftlerin und leitete bislang das Neiße-Filmfestival im Dreiländereck Tschechien-Polen-Deutschland. Sie sieht Leipzig als Verbindungstor zwischen Ost- und Westeuropa und betonte, dass sie das Osteuropa-Programm des Festivals, das Terhechte ausgebaut hatte, weiterhin stärken wolle.

Staszel muss sich, wie im Gespräch und der anschließenden Diskussion mit dem Publikum deutlich wurde, auch großen Herausforderungen stellen. So sah der sächsische Doppelhaushalt 2025/2026 vor, 22 Prozent des Festivaletats zu streichen – ein Schritt, der wegen Protesten im Landtag und des Festivals dann doch nicht realisiert wurde. Wie werde es aber erst sein, wenn die AfD mitregiere, fragt ein Zuhörer. Die Sorge ist berechtigt: Schließlich dürfte die Partei wenig Interesse an der Aufrechterhaltung eines Festivals haben, das sich schon allein durch sein Programm klar gegen nationalistische und konservative Werte positioniert.

Ola Staszel, gerade erst als neue Leitung bestätigt, konnte in Bezug auf diese Problematik noch keinen überzeugenden Plan vorlegen. Sie verwies auf die Filmfestivalbranche in den USA, wo es mehr Möglichkeiten als in Europa gebe, sich von der Privatwirtschaft finanzieren zu lassen. Sponsoren, Mäzenatentum, Charity – wäre das auch was fürs DOK Leipzig? Für Terhechte ist das keine Lösung. Er betont, wie wichtig es sei, mit den anderen sächsischen Filmfestivals gemeinsam vor der Politik beziehungsweise den öffentlichen Geldgebern aufzutreten.

Ein Zuhörer äußert sich vehement zustimmend: Aus progressiver Sicht müsse für öffentliche Förderung gestritten werden. Kultur sei genauso wichtig wie die Feuerwehr oder das Straßenverkehrsnetz. Das ist richtig – wobei es natürlich darauf ankommt, welche Kultur gemeint ist. Wenn es darum gehen soll, Leipzig und Sachsen insgesamt als Orte zu erhalten, die von lebhafter demokratischer Diskussion und kultureller Teilhabe aller Bevölkerungsteile geprägt sind, an denen soziale Gerechtigkeit einen Stellenwert hat und Menschen verschiedenen Geschlechts, verschiedener Herkunft und verschiedenen Alters unversehrt miteinander leben können, wäre es fatal, DOK Leipzig die Förderung zu entziehen – denn das Festival leistet hierfür einen wichtigen Beitrag.

Die Preise

Internationaler Dokumentarfilm:

Goldene Taube für den besten Langfilm: »Peacemaker« von Ivan Ramljak


Goldene Taube für den besten Kurzfilm: »After the Silence« von Matilde-Luna Perotti

Silberne Taube (Nachwuchspreis) für den besten Langfilm: »Elephants & Squirrels« von Gregor Brändli


Silberne Taube für den besten Kurzfilm: »String Pieces« von Vatae Kimlee

Deutscher Dokumentarfilm:

Goldene Taube für den besten Langfilm: »Active Vocabulary« von Yulia Lokshina

Goldene Taube für den besten Kurzfilm: »Boma a Bopa« von Jana Rothe

Internationaler Animationsfilm:

Goldene Taube für den besten Langfilm: »Endless Cookie« von Seth Scriver und Peter Scriver


Goldene Taube für den besten Kurzfilm: »Paradaïz« von Matea Radic

Publikumswettbewerb:

»Cutting Through Rocks« von Sara Khaki und Mohammedreza Eyni

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