Handel statt Wandel

Putin erntet bei seinem Deutschlandbesuch Kritik von Merkel

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat beim Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin anlässlich der Industriemesse in Hannover Kritik am Umgang Russlands mit ausländischen Stiftungen geübt. Putin wies die Vorwürfe zurück und versuchte, die Bedeutung der Handelsbeziehungen in den Vordergrund zur rücken.

Nur vereinzelt flammte der Protest gegen Wladimir Putin bei dessen Deutschlandbesuch auf. Gestern stürmten bei der Industriemesse in Hannover mehrere halbnackte Frauen, auf deren Brüsten »fuck dictator« stand, auf den russischen Präsidenten zu. Bodyguards konnten jedoch die Frauen stoppen, bevor sie Putin erreichten. Dieser ignorierte den Protest. Er sehe in der Aktion »nichts Schreckliches«. Was die Frauen geschrien hätten, habe er nicht genau verstehen können.

Bereits am Sonntag hatten bei der Eröffnung der weltgrößten Industriemesse nach Angaben der Polizei etwa 350 Menschen vor der Stadthalle gegen die Demokratiedefizite in Russland demonstriert, das in diesem Jahr Partnerland der Schau ist. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International meint, dass deutsche Unternehmen in Russland - auch aufgrund der Einschränkungen der Rechte von Homosexuellen und des Demonstrationsrechts - nur dann nachhaltig expandieren könnten, wenn sie auf die Garantie eines rechtsstaatlichen Rahmens pochten. Eine positive Reaktion großer deutscher Firmen auf diese Forderung ist bisher ausgeblieben.

Scharfe Kritik an der russischen Politik übten auch deutsche Politiker. Putin empfinde »aktive Bürger als Gegner des Staates« und nicht als Partner, sagte der Russland-Koordinator der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU), mit Blick auf den repressiven Umgang mit Nichtregierungsorganisationen. Für Grünen-Chefin Claudia Roth ist der von den russischen Bürgern gewählte Präsident Putin schlicht »ein Despot«.

So heftige Vorwürfe wollte Bundeskanzlerin Angela Merkel, die gemeinsam mit Putin die Messe eröffnete, nicht erheben. Sie betonte gestern vor dem gemeinsamen Eröffnungsrundgang mit dem russischen Präsidenten erneut die Sorge Deutschlands über den Umgang Moskaus mit politischen Stiftungen. »Natürlich ist es eine Störung und ein Eingriff, wenn Festplatten einfach kontrolliert werden, obwohl die Arbeit dieser Stiftungen nach unserer Kenntnis sehr ordnungsgemäß ist«, sagte Merkel.

Auch die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) war von den Durchsuchungen betroffen. Zuletzt war in der Ukraine deutlich geworden, wie die KAS versucht, Einfluss auf die Politik anderer Länder zu nehmen. Dort unterstützt sie die neu gegründete liberal-konservative Partei UDAR des Boxers Witali Klitschko.

Deutschland wünsche sich eine lebendige Zivilgesellschaft in Russland, teilte Merkel in Hannover mit. Putin habe ihr zugesichert, dass die politischen Stiftungen nicht behindert würden. Aus Sicht des Präsidenten schränkt das russische Gesetz für Nichtregierungsorganisationen diese in ihrer Tätigkeit keineswegs ein. Denn niemand würde diese Organisationen verbieten.

Für Putin stand bei seiner Visite in Hannover neben dem Geburtstagsbesuch beim Duzfreund und Altbundeskanzler Gerhard Schröder, der am Sonntag 69 Jahre alt wurde, der Ausbau der Handelsbeziehungen mit Deutschland im Vordergrund. »Wir wollen mittelständische Unternehmen aufbauen und stärken«, erklärte Putin. Russland braucht die Bundesrepublik als Partner für die wirtschaftliche Modernisierung. Inzwischen gibt es in dem Land 6000 Betriebe mit deutscher Beteiligung. Unter den rund 6500 Ausstellern aus 62 Ländern, die bis zum 12. April in Hannover ihre Neuheiten präsentieren, sind rund 170 russische Unternehmen.

Auch Deutschland ist auf Russland angewiesen - vor allem wegen der Öl- und Gasimporte. Zudem ist die deutsche Wirtschaft stark exportorientiert. Seit aufgrund der Wirtschaftskrise in vielen Ländern der Europäischen Union die Kaufkraft massiv eingebrochen ist, werden Absatzmärkte außerhalb von Europa für deutsche Unternehmen immer interessanter. Nach einem Einbruch im Jahr 2009 verzeichnete die russische Wirtschaft in den vergangenen Jahren wieder Wachstumsraten zwischen 4,3 und 3,6 Prozent. Hier hat sich vor allem in den Städten eine kaufkräftige Mittelschicht herausgebildet.

In der Außenpolitik verfolgen Moskau und Berlin hingegen oft unterschiedliche Interessen. In Hannover traten die Differenzen erneut zutage. Putin verteidigte die Waffenlieferungen an die im syrischen Bürgerkrieg kämpfenden Truppen des Präsidenten Baschar al-Assad. Nach internationalen Regeln sei dies legitim, so Putin. Die Außenminister der Europäischen Union halten hingegen die oppositionelle Nationale Koalition für »legitime Vertreter der Syrer«. »Aus unserer Sicht ist die Legitimation von Herrn Assad nicht mehr gegeben«, erklärte Merkel. Es müsse ihr zufolge angesichts des anhaltenden Konflikts, der immer blutiger wird, neue Verhandlungsanstrengungen im Rahmen des UN-Sicherheitsrats geben.

Auch bei den Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise hatte es zuletzt Unstimmigkeiten zwischen Deutschland und Russland gegeben. Putin hatte die »Enteignung der Anleger in Zypern« heftig kritisiert. Darunter sind auch einige russische Staatsbürger. Putin sprach in der ARD von einem »Vertrauensverlust gegenüber dem Bankensystem der Eurozone«. Trotzdem versicherte er am Rande der Industriemesse, dass Russland seinen Betrag »zur Rettung Zyperns« leisten werde. Sein Land habe dem Inselstaat eine Milliarde US-Dollar als Staatskredit gegeben, dieser solle nun restrukturiert werden, sagte Putin. Er gehe allerdings davon aus, dass der jetzige Lösungsansatz ein »Einzelfall« bleibe und diese Methoden nicht mehr angewendet würden, betonte der russische Präsident.

Noch mehr Ungemach als in der Bundesrepublik drohte Putin gestern in den Niederlanden. Dorthin reiste er am Nachmittag zu einem Kurzbesuch, bei dem die 400-jährige Freundschaft zwischen den beiden Nationen gewürdigt werden sollte. Nach Angaben einer Organisation wurden am Abend in Amsterdam mehr als 3000 Menschen zu einer Demonstration gegen die russische Politik erwartet. Sie wollten für die Rechte von Homosexuellen auf die Straße gehen. Amsterdam hisste auf dem Rathaus aus Protest die Regenbogenflagge, das Symbol der Homobewegung.

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