Suche nach dem Jungbrunnen

Bärweiler in Rheinland-Pfalz galt schon 1986 als »sterbendes Dorf« - doch im Ort hielt man dagegen

  • Jens Albes, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.
Nicht nur im Osten könnte es bald verlassene Dörfer geben, sondern auch in der Südwestpfalz, meinen Experten. Denn auch in Rheinland-Pfalz steigt das Durchschnittsalter und sinkt die Einwohnerzahl, schließen Geschäfte, Arztpraxen und Kitas. Politik und Bürger versuchen, sich gegen den Trend zu stemmen.

Mainz. Eingestürzte Dächer, Vogelnester auf den Mauern, Bäume im einstigen Wohnzimmer: Gibt es verlassene Dörfer wie in Italien und Spanien irgendwann auch in Rheinland-Pfalz? Experten halten das in Einzelfällen etwa in den Kreisen Südwestpfalz, Birkenfeld und Kusel für möglich - so sehr schrumpft hier voraussichtlich die Bevölkerungszahl. »Ich glaube schon, dass das eine oder andere Dorf in Rheinland-Pfalz die nächsten 20 Jahre nicht übersteht«, sagt der Bürgermeister von Bärweiler im Kreis Bad Kreuznach, Hans Gehm (parteilos).

In der Abwärtsspirale

Auch seine etwas abgelegene Gemeinde wurde von der Mainzer Universität schon 1986 als »sterbendes Dorf« bezeichnet. Doch der Ort mit heute rund 260 Einwohnern hielt mit einem Erneuerungskonzept dagegen. In die Renovierung alter Bauernhäuser flossen Zuschüsse. Ein Dorfmarkt bietet regionale Produkte und ein PC-Schulungsraum Zugänge zur digitalen Welt. In einem umgestalteten Bauwagen trifft sich die Jugend, ein Spielplatz lockt die Kinder an. Ein Infopfad mit acht Tafeln erläutert Besuchern die Dorfgeschichte.

Inzwischen ist vielen Lokalpolitikern im teils sehr ländlich geprägten Rheinland-Pfalz der Ernst des demografischen Wandels bewusst geworden. »Aber wer in den letzten 20 Jahren nichts in seiner Gemeinde getan hat, hat es schwer, jetzt noch auf den Zug aufzuspringen, weil es wegen des Sparzwangs weniger Förderungen gibt«, erklärt Gehm.

Die Bevölkerungszahl schrumpft, im Schnitt werden die Rheinland-Pfälzer außerdem immer älter: Die Prognose des Statistischen Landesamtes spricht eine deutliche Sprache. 2060 leben demnach nur noch 3,19 Millionen Menschen in Rheinland-Pfalz - ein Fünftel weniger als 2010. Schon bis 2030 soll die Zahl von derzeit knapp 4 Millionen auf 3,77 Millionen sinken. Zudem ziehen die Bürger verstärkt in Ballungszentren mit mehr Jobs und lassen so mehr Dörfer veröden. Zugleich steigt das durchschnittliche Alter der Rheinland-Pfälzer laut der Prognose von 44 Jahren (2010) auf 49 im Jahr 2030 und auf 51 im Jahr 2060.

In zahlreichen kleinen Orten dreht sich eine Abwärtsspirale. Schuld ist der Strukturwandel: Viele Bauern haben aufgegeben, neue Jobs fehlen. Geschäfte, Bäcker, Metzger und Arztpraxen machen dicht. Die Leerstände nehmen zu, die Lust am Renovieren schwindet. Immer weniger Kinder tollen herum, Kitas schließen, die Dörfer überaltern.

Früher haben viele Kommunen munter Neubaugebiete ausgewiesen. Doch der demografische Wandel erzwingt ein Umdenken: Warum immer mehr Flächen für immer weniger Bürger verbrauchen? Der zuständige Referatsleiter im Innenministerium in Mainz, Franz Kattler, sagt: »Mit unseren Dorferneuerungsprogrammen fördern wir keine Maßnahmen in Neubaugebieten. Wir müssen uns mehr um die Erhaltung und Sanierung des Bestands in Dorfkernen kümmern.« In diesem Jahr will das Land voraussichtlich rund 17 Millionen Euro in die Dorferneuerung stecken.

Eine wichtige Rolle spielt dabei der regelmäßige Landeswettbewerb »Unser Dorf hat Zukunft«, der die vorbildhafte Belebung von Ortszentren mit Geldpreisen belohnt. Dabei gehe es inzwischen mehr um bürgerschaftliches Engagement etwa für einen neuen Spielplatz, einen fahrenden Tante-Emma-Laden oder eine Sprechstunde mit einem auswärtigen Arzt, erläutert Kattler.

»Früher hieß der Wettbewerb ›Unser Dorf soll schöner werden‹. Damals sollte mehr Farbe ins Dorf kommen und alles sauber sein«, ergänzt er. »Heute geht es mehr um strukturelle Verbesserungen, damit die Dörfer im Wettbewerb überlebensfähig bleiben.«

Selbst renovieren

Ziel sei es auch, die Bürger selbst zum Renovieren anzuregen. »2012 haben wir 1100 private Maßnahmen der Dorferneuerung gefördert.« Für den Umbau von Scheunen zu Wohnhäusern, Bürogebäuden oder Ferienhäusern beispielsweise gebe es Zuschüsse und Beratung.

Im besten Fall verwandeln sich so alte Dorfzentren in neue Magneten für junge Familien, die herziehen und die Orte beleben. Baulandpreise von nur 24 bis 30 Euro pro Quadratmeter zum Beispiel in Bärweiler sind ein starkes Argument fürs flache Land - neben der Idylle. »Allerdings muss sich die Politik auch für genügend Arbeitsplätze auf dem Land einsetzen«, mahnt Bürgermeister Gehm.


Demografie-Kabinett

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) stellt den Umgang mit dem demografischen Wandel in den Mittelpunkt der Regierungsarbeit. Eigens für dieses Thema wurde ein sogenanntes Demografie-Kabinett einberufen, dem alle Landesminister angehören. In dieser Woche kam es zu einer ersten Sitzung in Mainz zusammen, im Mittelpunkt stand dabei die Bedeutung von Einwanderung und Integration. (dpa/nd)

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal