Fritschs Furioso
Theatertreffen: »Murmel Murmel«
Lausche den Sängern. Hör das Raunen der Dichter. Saug Thesen in dich auf. Stimm ein in den Chor der Partei. Brabbel ihn mit, den gewichtigen Beschluss. Unterwirf dich Geboten. Häng dich an sonst welche Lippen. Glaub an Lehren. Bete nach, was angeblich vorwärts weisen soll. Na und? Weitergegeben ward und wird per Medien, Melodien und Mikrofone stets nur ein gewichtig aufrauschendes und dabei doch keineswegs intelligenter werdendes Ge-Murmel. Von Jesus bis Marx, von Goethe bis Grass: Murmel, murmel. Politprogramme? Murmel, murmel. Leitartikel? Murmel, murmel. Aufklärung und Enthüllung, Grundsatzreden und Utopien? Murmel, murmel. Theaterkritiken selbstredend auch: Murmel, murmel. Mehr nie.
»Murmel Murmel«, so heißt, was der Schweizer Dada-Künstler Dieter Roth (1930 bis 1998) Stück nannte; es besteht, auf über 170 Seiten, einzig aus diesen beiden Worten. Herbert Fritsch hat es an der Volksbühne inszeniert: ein siebzigminütiges Furioso, bei dem elf Schauspieler alles Mögliche und Unmögliche mit diesen vier Silben »Mur-mel Mur-mel« anstellen und ausstellen. Gestern die Präsentation beim Theatertreffen.
Eine Glanzparade der Sinnlosigkeit, und doch auch wieder nicht: Was in einem einzigen Wort zerkaut, zerlutscht, in einzelne Buchstaben zerlegt werden kann - es offenbart das Leben, die Liebe, den Hass, die Verlockung und das Elend politischer Bewegungen, die Verführung durch Einheitsfronten, die Not des Außenseitertums.
Das Grandiose an Fritsch: Er räumt auf und aus. Wo Leute so vieler Coleur mit Getöse und Getue nach Wahrheit, Ethik, Wissen, Bewusstsein, Erziehung, Feinsinn, Verantwortung, Gewissen, wahrer Politik und edlen Gedanken rufen - dort zeigt er allen befreiungswild den Vogel, der entfliehen will. Diese entsetzlichen Welterklärer! Diese öden Moralisten! Diese säuselnden Allesversteher! Diese Unfähigen, von einer Mission loszulassen, um die niemand gebeten hat. Dort haut das Theater von Fritsch drauf wie ein Wesen, das endlich gesteht, nichts zu sagen zu haben. Und das klingt herrlich lebendig! Grandioses Gemurmel.
Zum Aktionspaket
Linken, unabhängigen Journalismus stärken!
Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.
Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.