Zu Gast im Minshuku des Samurai

Unterwegs auf Japans wenig bekannter Südinsel Kyushu: Delfine, Vulkane und Natur pur

  • Alexander Richter
  • Lesedauer: 7 Min.

Auweia! Die cremeweißen Hausschlappen passen nicht. Und der Yukata erst recht nicht. Dieser kimonoähnliche Hausmantel würde wie auch die Schühchen einem kleinen, schlanken Japaner zur Zier gereichen. Nicht aber einem kräftigen Mitteleuropäer mit Bauchansatz. Genau in der Körpermitte spannt der dünne Stoff dann doch arg, was Seiichi Ogata, dem japanischen Gastgeber, nur ein kurzes Nicken und ein stramm artikuliertes »Hai« abverlangt.

Beides, das eine Wort und das Nicken, begegnen dem Gast in Japan täglich. Hier im Gemeinschaftsraum des Minshukus (Familienpension) im Dorf Hagi in der grünen Abgeschiedenheit von Gokanosho bewegt sich niemand in Straßenkleidung. Im Haus zieht man Hausmantel und Hausschläppchen an, so will es die japanische Etikette, die uns auf dieser Reise noch viele Male begegnen und manchmal auch sehr fremd vorkommen wird.

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Auf den Tisch kommt zum Dinner ein japanisches Allerlei. Viel vitaminreiches Grünzeug, auch Algen. Eine schwarz gegrillte Forellenart, Sushi, Tofustücke und kleine Happen vom Koberind, dem wohl teuersten Rindvieh der Welt. Dazu gibt’s grünen Tee und Asahi-Bier, das, im Gegensatz zum japanischen Wein, wirklich gut schmeckt. Später kommt auch noch Sake dazu - kanpai (prost)!

Doch bevor man überhaupt mit dem Abendessen starten kann, muss man eine möglichst bequeme Sitzposition finden. Was nicht so einfach ist, denn auf dem Boden liegt nur ein Sitzkissen, und der Tisch hat auch nur eine Maximalhöhe von vielleicht 50 Zentimetern. Irgendwie müssen da die Beine, an deren Ende (noch) die Schläppchen baumeln, darunter. Nach zehn Übungsminuten, diversen Anstößen und Gewichtsverlagerungen hat man irgendwie mit seinen Beinen eine Art Friedensvertrag geschlossen. Zumindest für die nächsten 60 Minuten.

Wir sind auf Kyushu, der südlichsten der vier Hauptinseln Japans. Tokio ist 70 Flugminuten entfernt, die zerstörte Nordregion um die Atomreaktoren von Fukushima über 1000 Kilometer weit weg. Die hügelige Gegend, die hier und dort an ein deutsches Mittelgebirge erinnert, ist ein ideales Wandergebiet in stimmungsvoller mächtiger Kulisse: Dichte Mischwälder, deren Laubfärbung in der japanischen Spielart des Indian Summer landesweit berühmt ist. Gewaltige Schluchten, kristallklare Gebirgsflüsse und tosende Wasserfälle. Eine Straße, fünf Dörfer, die zu Fuß oft nur via Hängebrücke erreichbar sind. Ein Stück Einsamkeit und Natur im dicht besiedelten Japan. Und keine Angst: Obwohl die Region Kumamoto mit einem freundlichen Bärenantlitz um Gäste wirbt, ist von Meister Petz hier weit und breit keine Spur zu entdecken. »Manchmal löst halt das touristische Marketing Vorstellungen aus, die kontraproduktiv sein können«, meint dazu Hashizaki Schingo, der freundliche Guide.

Rund 13 Millionen Einwohner zählt Kyushu, davon leben in den grünen Tälern und auf den Anhöhen von Gokanosho keine tausend. Einige davon sind Nachfahren des Heike-Clans, tapfere Samurai, die sich nach einer blutigen Niederlage vor langer Zeit hierhin zurückzogen und sich seither »Ogata« nennen. Seiichi Ogata zeigt uns stolz seinen Stammbaum, der beweist, dass er in 49. Generation ein Nachfahre der Heikes ist. Heute hat er sich mit einigen anderen Familien in Gokanosho auf friedliche Gäste eingestellt, die ihre Minshukus und Ryokans (Hotels) mit ihren traditionellen japanischen Gasträumen dem Tourismus geöffnet haben. »Zu Gast bei den Samurai« kombiniert Gutes aus der alten und der neuen Zeit: Futonbett, Tatamiboden und ein Heißwasserpool (Onzen genannt) hier, Flachbildschirm und Funktelefon dort. Der Familienanschluss ist garantiert, wenn es auch mit der sprachlichen Verständigung sehr hapert - die Samurai-Nachfahren haben anderes als Englisch im Kopf.

Wer sich für Kyushu als Reiseziel entscheidet, hat immer auch eine Portion Abenteuer im Gepäck. Die weltweite Tourismuskarawane hat diesen schönen Fleck Erde noch nicht für sich entdeckt. Dabei hat die Südinsel, auf der auch Nagasaki liegt, einige touristische Attraktionen zu bieten. Amakusa Island im Ostchinesischen Meer zum Beispiel. Hier leben rund um die Insel hunderte Delfine in freier Wildbahn. Die Fischer, die die Tiere ähnlich wie die Wale am liebsten im Wok oder auf dem Teller sehen, haben Frieden geschlossen mit den Delfinen. Denn sie haben begriffen, dass springende und singende Delfine ein prima Geschäft sind. Also haben sie Boote gekauft und offerieren für Touristen »Dolfin-Tours« - ein echter Renner. Das Geschäft floriert, man sieht’s an den noblen Automarken der Kapitäne auf dem Hafenparkplatz.

Kleine Fischerdörfer wie Sakitsu, grüne Berge und schöne Sandstrände, auch das ist Amakusa, wo auch die Japaner Badeurlaub machen. Allerdings immer nur bis zum 31. August, danach geht man in Japan einfach nicht mehr ins Meer. Keiner weiß, warum das so ist, aber jeder hält sich dran. Übrigens: Urlauber aus dem fernöstlichen Inselreich bleiben nicht nur in Europa, sondern auch im eigenen Land in der Regel nur eine Nacht an einem Ort, dann ziehen sie weiter.

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Kulturell Interessierte erfahren in Amakusa-City und Hondo im »Christian Museum« viele spannende Hintergründe zur Christenverfolgung in Japan im 17. und 18. Jahrhundert. Einem im Süden Japans herrschenden Shogun waren damals die Christen zu mächtig geworden. Zudem verehrten sie einen Gott, den sie über den Shogun, also einem obersten Kriegsherrn selbst setzten. »So geht das nicht«, befahl der Kriegerheld, verbot den Glauben und ließ Christen verfolgen und töten. Viele Christen, die entkommen konnten, versteckten sich auf Amakusa und gingen ihrer Religion im Verborgenen nach. Erst 1873 wurde das Verbot aufgehoben. Heute leben in Japan wieder rund 500 000 Menschen christlichen Glaubens, sind aber gegenüber der in Japan stark verbreiteten Shintoismus-Religion deutlich in der Minderheit. Die Shintoisten haben Götter für jede Gelegenheit - ihre Gesamtzahl ist sechsstellig.

Japan besteht zu 80 Prozent aus Gebirgen und Vulkanen. Hier unten im Süden sind sie auch eine wichtige Touristenattraktion. Auf der Shimabara Halbinsel in der Präfektur Nagasaki zum Beispiel ist der Unzen Nationalpark eine erste Adresse mit viel wilder Natur. Der Mount Unzen spuckte das letzte Mal vor 22 Jahren Feuer und Verderben. Die »Desaster Memorial Hall« als einziges interaktives Vulkanmuseum Japans erinnert an die Tragödie und zeigt Hintergründe und Auswirkungen. Das Museum ist perfekt durchorganisiert - alle 100 Meter steht eine Museumsangestellte mit Megafon oder Lautsprecher und gibt ihre Anweisungen und Erklärungen ab - leider nur auf Japanisch. Zum Glück gibt’s in diesem Museum Headsets mit englischen Infos.

45 Fahrminuten weiter raucht die Erde ununterbrochen. Und es stinkt erbärmlich nach faulen Eiern. Die Schwefelquellen von Unzen haben es tatsächlich in sich. Im Hotel Yumei kann man die natürlichen heißen Quellen im traditionellen Onzen genießen.

Spektakulär endet der Trip nach Kyushu am Mount Aso, einem der größten Vulkane der Welt. Hier begreift man, warum Kumamoto, die gastgebende Präfektur, übersetzt »Feuerland« heißt. Tatsächlich brummeln in einem riesigen, besiedelten Vulkankessel (25 km Nord-Süd, 18 km West-Ost) vier Krater still und leise vor sich hin. Aktiv ist Vulkan Naka-dake (1506 Meter). Er ist touristisch erschlossen und einer der touristischen Highlights Japans: 17 Millionen Besucher kommen pro Jahr. Der letzte große Ausbruch war vor gut 20 Jahren. Danach hat sich im Krater ein See gebildet, aus dem es permanent raucht und dampft. Die Farben reichen von smaragdgrün bis türkisblau. Steht der Wind allerdings falsch, ist der Rundweg, der bis knapp an den Kraterrand führt, gesperrt: Zu giftig und gesundheitsgefährdend sind die aufsteigenden Gase. Der Naka-dake kann jederzeit wieder ausbrechen - Betonbunker am Kraterrand sollen dann Schutz bieten.

Im Hotel in Kumamoto, deren deutsche Partnerstadt Heidelberg ist, schlägt dann noch einmal die japanische Lebensart zu. Ausgerechnet auf der Toilette. Auf die geht man im traditionellen Japan nicht mit Straßen- oder Hausschuhen, sondern mit speziellen Klo-Schlappen, die direkt hinter der OO-Türe platziert sind. Natürlich sind sie nur in Größe 36 vorhanden. Und überhaupt: So ein japanischer Klobesuch ähnelt einem Hightech-Sitz-Seminar. Da kann man Knöpfe drücken für Massagen, zur Reinigung des Allerwertesten (gibt’s in der Variante hart und weich), zur Spülung (gibt’s in der Variante Springbrunnen und Durchfluss) und für einen warmen Toilettensitz. Es gibt noch weitere Knöpfe. Wofür die gut sind? Keine Ahnung. Die Erklärung gab’s nur auf Japanisch.

  • Kyushu mit Gokanosho wird derzeit europaweit exklusiv nur vom Berliner Reiseveranstalter Geoplan angeboten. Die Tour ist als individuelle Bahnreise ab 1890 Euro und für Selbstfahrer ab 2090 Euro möglich. Infos: www.geoplan-reisen.de
  • Infos zu Japan: Die Japanische Fremdenverkehrszentrale JNTO (www.jnto.de) bietet eine kostenlose Infobroschüre »Japan 2013« an. Die Broschüre kann telefonisch unter (069) 203 53 oder per E-Mail: fra@jnto.de angefordert werden.
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