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Scheidung nach 41 Jahren

Werder Bremen entlässt Trainer Thomas Schaaf, der seit 1972 im Verein ist - ein keineswegs harmonischer Abgang

  • Frank Hellmann, Bremen
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit Thomas Schaaf verlässt eine Institution den SV Werder Bremen sofort. Die Trennung vom Urgestein erfolgt mitnichten im Einvernehmen.

Was bleibt? Immerhin ein ideales Refugium zum geordneten Rückzug. Schon seit seiner Zeit als Spieler bewohnt Thomas Schaaf mit seiner Frau Astrid jenen gepflegten Bungalow in Brinkum, der von hohen Hecken umgeben ist. Gleich dahinter liegen Wiesen und Weiden, zwischen denen der Familienvater gern mit dem Rennrad fährt. Und dann ist da noch sein bester Freund, Jugendtrainer und Nachbar Bernd Pfeifer, der immer ein offenes Ohr für jenen Mann hat, der seit Mittwochmorgen kein Bundesliga-Trainer mehr ist.

Um 10.05 Uhr verschickte der SV Werder jene Pressemitteilung, die die Trennung von einem verkündete, der seit 1972 dem Verein angehört. Es ist nicht lange her, da konnte seine Standfestigkeit in diesem Klub mit der des Rolands vor dem Marktplatz gleichgesetzt werden. Erstliga-Coach seit fast genau 14 Jahren oder exakt 5119 Tagen - das hat noch nie jemand in 50 Jahren Bundesliga geschafft. Warum stürzt solch ein Denkmal? »Wir haben unsere sportliche Entwicklung analysiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass wir einen Neuanfang wagen wollen«, teilte Geschäftsführer Thomas Eichin auf der Pressekonferenz mit. »Es war eine harte Entscheidung, aber es ist das Beste für Werder.«

In dem fensterlosen Mediensaal unter der Ostkurve des Weserstadions, wo Schaaf zuletzt nach dem 1:1 gegen Frankfurt so missmutig gesessen hatte, als sei nicht der Klassenerhalt vollbracht, sondern der Abstieg besiegelt, nahm der 52-Jährige gar nicht mehr teil. Ein Indiz, dass es doch zur eher unschönen Scheidung kam, so oft auch Eichin betonte, man habe das »harmonisch« gelöst.

Nach dem Gespräch mit der Geschäftsführung in Person von Vorstandschef Klaus Filbry, Klaus-Dieter Fischer und Eichin zog der Fußballlehrer einen Schlussstrich, der zu seiner mitunter eigenwilligen, aber immer konsequenten Art passte: Mit der Verabschiedung von den Spielern beendete der gebürtige Mannheimer sofort seine Tätigkeit. Seine Co-Trainer Wolfgang Rolff und Matthias Hönerbach haben zum Saisonkehraus beim 1. FC Nürnberg die Verantwortung. Schaaf wollte das »nicht mehr machen«, so Eichin.

Den Daumen senkte schlussendlich im Zusammenwirken mit Aufsichtsratschef Willi Lemke wohl der mächtige Vereinspräsident Fischer - ohne die graue Eminenz wird keine grün-weiße Personalie abgesegnet. Der 72-Jährige machte aus dem Spieler Schaaf überhaupt erst den Trainer Schaaf, indem er ihn einst für eine Gehaltserhöhung von wenigen hundert Mark in die Pflicht nahm, bitteschön nebenbei noch eine Jugendmannschaft zu betreuen. Ein Gewinn für beide Seiten: Schon bald übernahm der ehemalige Rechtsverteidiger die Amateure und führte in der Regionalliga eine Viererkette ein, als die Bundesliga noch mit Libero spielte. Am 10. Mai 1999 erfolgte seine Beförderung zu den Profis, die er in insgesamt 644 Partien betreute.

Der Schnauzbartträger schaffte es, dem damals darbenden Klub wieder eine unverwechselbare Identität zu geben. Mit forschem Vorwärtsfußball, bei dem die Mittelfeldraute genau wie die Gegentorflut zum Markenzeichen wurde. Stars wurden an der Weser entwickelt, wo um Strategen und Künstler wie Johan Micoud, Diego und Mesut Özil stilbildende Teams viele begeisternde Spiele boten. Gleich am Anfang gewann Bremen unter Schaaf den DFB-Pokal, das sensationelle Double 2004 leitete eine Hochphase mit insgesamt sechs Teilnahmen an der Champions League ein. Doch das Gebilde wurde in dieser Ära eben auch sportlich größer als der Standort wirtschaftlich sein konnte.

In den vergangenen drei Jahren wirkten alle in Bremen irgendwie hilflos, dass plötzlich findige Perlentaucher aus Freiburg, Mainz, Nürnberg oder Frankfurt die besseren Perspektivspieler aufspürten. Mit Klaus Allofs ging Schaafs vertrauter Weggefährte im November vergangenen Jahres. Es folgte eine abermals fürchterliche Rückrunde. Und letztendlich vermochte er nicht genug Mitstreiter mitzunehmen. Intern wird von einer Beratungsresistenz in Krisenzeiten berichtet.

Der Klub startet mit der Trennung eine neue Zeitrechnung: Mit Kevin de Bruyne und Sokratis gehen die besten Spieler. Wer diesen allenfalls mittelmäßigen Kader dann unter dem Diktat des Sparens befehligt, wird eine schwierige Entscheidung. »Es wird ein Trainer von außen kommen, der hier nicht jeden Stein kennt«, beschrieb Eichin das Anforderungsprofil. Namen wie Mehmet Scholl, Holger Stanislawski, Ralph Hasenhüttel und Norbert Meier stehen im Raum. Werders ewige Führungskräfte Fischer und Lemke wissen noch, wie schwer es Aad de Mos oder Dixie Dörner als unmittelbare Erben eines Otto Rehhagel hatten.

Das Problem des Thomas Schaaf ist das nicht mehr. Er zieht sich erst einmal zurück. Nach Brinkum, auf niedersächsisches Terrain, wo nur wenige Nachbarn genau wissen, wie dieser Mann hinter den hohen Hecken wirklich tickt.

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