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Das Recht liegt bei der Wirtschaft

Spaniens staatliche Fernuniversität erfährt die Auswirkung der Krise - und was kritische Angestellte dürfen

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 7 Min.
Spaniens staatliche Fernuniversität UNED hat sich beachtlich entwickelt: zur größten Universität des Landes überhaupt. Doch im 41. Jahr ihres Bestehens zeigte sie auch ihre Unternehmensnähe und erhielt deshalb eine Lektion in Pressefreiheit.

Juan Gimeno Ullastres ist ein sozial engagierter Ökonom. Vor allem aber ist er seit 2005 Rektor der »Universidad Nacional de Educación a Distancia« (UNED) in Madrid, Spaniens staatlicher Fernuniversität und größter Hochschule überhaupt. In einem Interview sagte er vor ein paar Jahren zu seinem Werdegang, er habe zunächst Jura studiert, sei dann aber zu der Einsicht gekommen: »Die Gerechtigkeit liegt viel mehr in der Wirtschaft als im Recht.« Er schwenkte um und schaffte es 1986 auf eine UNED-Professur für angewandte Ökonomie. Heute zeigt der 62-Jährige unfreiwillig, wie sehr die Wirtschaft das Recht überlagern kann.

Doch zunächst lädt der Rektor den deutschen Journalisten zum Gespräch in ein Restaurant zum Mittagessen. Gimeno kommt im Freizeithemd, ist aufgeschlossen, duzt (was in Spanien nicht unüblich ist). Eine an einem anderen Tisch sitzende UNED-Studentin, die zugleich Rentnerin sein könnte, begrüßt er herzlich.

Die UNED in Zahlen

● 27 grundständige Studiengänge, 53 Master, 44 Doktorandenprogramme, Kurse für 12 Sprachen, mehr als 600 Weiterbildungstitel und Hunderte Einzelveranstaltungen wie Seminare, Kongresse und Sommerkurse.

● 10 000 Angestellte in der Madrider Zentrale und den eigenständigen »angeschlossenen Zentren«.

● Zwischen 12 (Sozialwissenschaften) und 18 (Ingenieurswissenschaften) Euro Gebühr pro Leistungspunkt. Ein grundständiger Studiengang (»Grado«) umfasst 240 Punkte und kann laut Studienplan in vier Jahren absolviert werden. Wer einen Kurs wiederholen muss, zahlt mindestens 30 Prozent mehr, beim dritten Mal über 150 Prozent mehr. In Spanien gibt es aber ein staatliches Stipendienwesen.

● Eine Million ehemalige Studierende. rhu

»Ich kenne meine Studierenden wahrscheinlich besser als die Rektoren mittlerer und großer Präsenzuniversitäten«, sagt Gimeno auf die Frage nach dem Kontakt mit Studierenden an einer Fernuniversität. »Die Studierenden können sogar direkt ans Rektorat schreiben.«

Über 250 000 von ihnen soll es heute geben. Zum Vergleich: Die Fernuniversität Hagen, die sich als einzige deutschsprachige öffentlich-rechtliche Fernuniversität bezeichnet und seit 1975 Studiengänge anbietet, hat nur 80 000 Studierende. Die UNED hat also eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht, seit der spanische Staat sie im August 1972 schuf. Heute bietet sie neben den gängigen Abschlüssen auch sehr viele Zertifikate an, die für die berufliche Weiterbildung gedacht sind (und auf Einzelmodulen von Studiengängen basieren). Ein einjähriger Kurs zur Erlangung des Abiturs ist ebenso im Angebot wie Sprachkurse und Sonderprogramme für Senioren, Menschen über 45 Jahren und Gefängnisinsassen. Laut Gimeno ist die Hälfte der körperbehinderten Studierenden Spaniens an der UNED eingeschrieben. Ein Viertel aller seiner Studierenden betreibe berufliche Weiterbildung, zu denen Gimeno auch die Master-Studiengänge und Sprachkurse zählt. Das UNED-Internetangebot enthält nicht nur immer mehr Videovorlesungen und Tutorien, sondern auch zunehmend Arbeitsgruppen und Chats. »Wir sind die Universität mit dem weltweit größten Publikum auf YouTube«, rühmt sich der Rektor.

Wichtig für das Wachstum der UNED war laut Gimeno die Zunahme ihrer Filialen im ganzen Land. Nach UNED-Angaben gibt es 87 »angeschlossene Zentren«, die akademische Aktivitäten anbieten, aber eigenständig sind und nicht nur der UNED dienen. 14 von ihnen liegen im Ausland, erläutert Gimeno, so auch in Berlin und Frankfurt am Main. Die Auslandszentren seien für Verwaltungsfragen da, und für allgemeine Hilfsangebote. Fachliche Hilfe gebe es per Internet. »Einer der Gründe für die Qualität der UNED-Titel ist, dass die Prüfungen unter Aufsicht abgelegt werden«, sagt der Rektor. Die Prüfungsfragen werden verschlüsselt per Internet in alle Prüfungszentren gleichzeitig geschickt, so dass sie überall im gleichen Moment abgehalten werden können. Die ausgefüllten Bögen werden dann zur Prüfungskommission nach Madrid geschickt. In Zukunft sollen sie dafür eingescannt werden.

An den Präsenzuniversitäten sind seit der europäischen Studienreform semesterbegleitende Prüfungen Pflicht. Anders an der UNED: »Hier geht es um Flexibilität«, sagt Gimeno. »Die Studierenden sollen selbst aussuchen können, welche Prüfungsform ihnen am besten passt.« Einen fundamentalen Wechsel hätten die europäischen »Bologna«-Reformen aber gebracht: mehr Einbeziehung der Studis. So werde nun mehr auf Gruppenarbeit geachtet, und alle Studierenden hätten das Recht auf studienbegleitende Prüfungen statt Semesterendprüfungen. Zudem seien diese Prüfungen praxisorientierter.

Für die letzten fünf Jahre macht der UNED-Rektor ein »wichtiges Wachstum« seiner Uni aus. Das liege zum einen am Internet, zum anderen aber auch an der Wirtschaftskrise: »Die Menschen wissen dass sie mit einem höheren Ausbildungsniveau mehr Chancen auf einen Arbeitsplatz haben.« Zeigt das also die negative Seite der Fernuniversitäten? Dass ihr Wachstum auf dem Druck des Arbeitsmarktes basiert, sich ständig an ihn anzupassen? Doch Gimeno kann mit solcher Kritik nichts anfangen. »Lebenslanges Lernen ist unumgänglich«, so seine Antwort.

Bejahen muss er allerdings die Frage, ob angesichts der ökonomischen Misere ein Rückgang der Studiennachfrage zu befürchten ist (schließlich kostet das Studium Geld): »Die Angst ist berechtigt. Im Studienjahr 2011/12 haben wir bemerkt, dass deutlich weniger Menschen das zweite Halbjahr zahlen konnten.« 2012 stiegen die Studiengebühren zudem landesweit stark an. Gimeno findet es »wahrscheinlich, dass einige Menschen abgeschreckt sein werden. Andere werden sich für weniger Kurse anmelden und somit weniger zahlen müssen.« Das verlängert dann das Studium.

Ihre finanziellen Mittel bezieht die UNED nicht nur vom Bund, sondern auch von fast allen Bundesländern, erklärt ihr Rektor. Auch die betroffenen Regierungsbezirke geben demnach jährlich Geld. Zudem verfügt(e) die Uni über 31 Finanzinstitutionen und 1100 Firmen als Sponsoren. »Jetzt mit der Finanzkrise sind aber nur noch sehr wenige geblieben, die weiterhin Geld geben«, erwähnt Gimeno. Die Finanzinstitutionen seien in den meisten Fällen lokale Sparkassen (gewesen), die den jeweiligen regionalen Zentren helfen, erklärt der Rektor. Der Beitrag der Firmen seien vor allem Praktikumsvereinbarungen.

Von Firmen gesponsorte Lehrstühle gibt es laut Gimeno nicht - mit einer Ausnahme: »Telefónica«. Das spanische Pendant zur deutschen »Telekom« zahlt den Lehrstuhl für Unternehmensverantwortung. Und hier liegt die Wurzel für eine Riesenblamage für die UNED, die mittlerweile sogar gerichtlich bestätigt wurde. Das Thema ist so heikel, dass der Rektor auf beharrliche kritische Nachfragen mit deutlichem Entsetzen reagiert. Seine neben ihm sitzende Pressesprecherin wird den Nachtisch, den sie noch wenige Minuten vorher bestellt hat, nicht anrühren. Ihrem Chef wird sie die Hand vor den Mund halten und ihn zum Schweigen auffordern, als er sich weiter zu rechtfertigen versucht.

Es ist eine Veranstaltung des erwähnten, von »Telefónica« gesponsorten Lehrstuhls für Unternehmensverantwortung, die der UNED so viel Kummer bereitet hat. Genauer gesagt: Ein filmischer Bericht von dieser Veranstaltung.

Im Juni 2011 berichtete die UNED-Angestellte Tania Gálvez für das UNED-eigene Fernsehen (das vor allem online, zum Teil aber auch von einem staatlichen Sender ausgestrahlt wird) von dem Symposium. Der Beitrag wurde gesendet, wenige Wochen später aber von der Internet-Präsenz gelöscht. Das »Telefónica«-Vorstandsmitglied Luis Abril, das gegen Ende des Videos interviewt wird, hatte sich beschwert. Gálvez hatte ihn nämlich auf die drohende Entlassung von 6500 Angestellten angesprochen und das in Zusammenhang mit dem Jahressalär des Vorstandsvorsitzenden (8,5 Millionen Euro) und mit dem Begriff »Unternehmensverantwortung« gestellt. Abril antwortete lang und breit, und ohne Unmut zu zeigen. Vielleicht missfiel ihm dann, was auch die UNED in der Folge Gálvez vorwarf: Für ein paar Sekunden ist in dem Bericht der Protest einiger Mitglieder der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CNT zu sehen, die vor besagtem Symposium Flugblätter gegen »Telefónica« verteilten.

Das stellte die UNED als »Propaganda« und somit Vertrauensbruch einer Angestellten dar. Zudem warf sie Gálvez vor, für den Film Fremdmaterial verwendet zu haben (die CNT-Bilder). Der nächste hanebüchene Vorwurf: Sie habe das Video über ihr Blog auch nach der Löschung bei der UNED weiterverbreitet.

»Wenn eine Institution dir den Auftrag für eine Reportage gibt und du Bilder verwendest, die gegen die Botschaft der Institution sprechen, dann hast du das in dich gesetzte Vertrauen missbraucht«, sagt Rektor Gimeno auch im nd-Gespräch. Warum verstieß die Reporterin nach Ansicht der Uni-Leitung mit ihren kritischen Fragen und dem Erwähnen des CNT-Protests (der sich übrigens auch gegen gesponsorte Lehrstühle richtete) gegen die Interessen der UNED? »Weil die UNED strategisch immer mehr auf Kooperationen mit Firmen und privates Sponsoring hinarbeitet und sie das in ihrer Reportage angreift«, antwortet Gimeno. »Sie wendet sich in einem universitären Medium gegen das strategische Handeln der Universität.« Gálvez' Fragen zu »unternehmensinternen Problemen« hätten die Universität nicht interessiert, sagt der Rektor.

Die UNED verhängte gegen die als Aktivistin der kleinen, aber unbequemen CNT bekannte Tania Gálvez ein anderthalbjähriges Beschäftigungsverbot (und stellte sich dabei noch als großzügig dar). Mittlerweile ist das aber, wie sämtliche Einzelvorwürfe, von einem Gericht kassiert worden. Was die UNED ins Feld führte, wertete das Gericht als Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit. Zudem hatte Gálvez das gelöschte Video nie selbst auf ihrem Blog angeboten, sondern nur verlinkt - es fand sich nach Löschung bei der UNED noch an anderen Stellen im Internet. So ist es auch heute noch - für Gálvez ein Zeichen dafür, dass es gegen sie ging, und nicht um die Entfernung des Videos.

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