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»Übersetzen heißt Interpretieren«
»Madame Bovary« - der berühmte Roman von Gustave Flaubert in der Fassung von Elisabeth Edl
So richtig sympathisch bleibt keiner in Gustave Flauberts Roman »Madame Bovary«. Und doch ist dieses Buch immer wieder eine spannende Lektüre. Das liegt unter anderem an den ambivalent gestalteten Figuren. Selbst bei Flauberts Heldin ist der Leser zwischen Sympathie und Ablehnung hin- und hergerissen. Einerseits heiratet die Bauerntochter Emma Rouault aus Naivität den sehr viel älteren Arzt Charles Bovary; andererseits erwähnt der Erzähler bereits zu Anfang das Berechnende an ihr. Zwar ist ihr Drang, der Enge der Provinz zu entkommen, verständlich; auch dass sie sich ihren Liebhabern hingibt, ist heute kein Skandal mehr wie noch im 19. Jahrhundert, als Flaubert sich wegen des dargestellten Ehebruchs vor Gericht verantworten musste (und freigesprochen wurde). Aber geht Madame Bovary nicht auch aus heutiger Sicht zu weit, weil sie ihre individuelle Freiheit über alles stellt?
Neben diesem zeitlosen Konflikt ist es die Schreibweise Flauberts, die die Lektüre seines Romans immer wieder zum literarischen Genuss macht. Eine Schreibweise, die allerdings nur im französischen Original zeitlos ist, nicht aber in der Übersetzung. Arthur Schurigs Version aus dem Jahr 1912 zum Beispiel klingt altbacken. Da wird von »löblichem« Fleiß und Betragen gesprochen, da »schmauste« man bis in den Abend. Übersetzen heißt letztlich Interpretieren und die Zeitlosigkeit des Originals drückt sich auch darin aus, dass sich jede Epoche in einer neuen Übersetzung wiedererkennen kann.
Elisabeth Edl hat unlängst eine weitere deutsche Version von »Madame Bovary« erarbeitet. In den »Anmerkungen zu Sprache und Übersetzung« im Anhang schreibt sie, dass ihr drei Dinge bei dabei wichtig gewesen seien: der Satzbau, der subtile Perspektivwechsel in der Erlebten Rede sowie die Wortspiele und der doppelte Sinn des Textes. Flaubert hat fünf Jahre lang intensiv an jedem Satz des Romans gefeilt. Für Elisabeth Edl hieß das, »Satz für Satz auf die verschiedenen Bedeutungsebenen hin« durchzuhören. Für die bisherigen rund dreißig Übersetzungen ins Deutsche inklusive der jüngsten von Caroline Vollmann, die als Fischer Taschenbuch erhältlich ist, stellt sie in dieser Hinsicht ein niederschmetterndes Urteil aus: »Keine einzige Übersetzung scheint sich der Herausforderung überhaupt bewusst gewesen zu sein.«
In Elisabeth Edls Version stolpert der Leser dann allerdings bereits auf der ersten Seite. Charles Bovary, der spätere Mann Emmas, kommt als 13-Jähriger ins Collège, das in etwa der deutschen Sekundarstufe II entspricht. Der Direktor des Collège bringt den Jungen in die Klasse und sagt zum Hilfslehrer: »Ich lege Ihnen diesen Schüler ans Herz, er kommt in die Quinta. Sind Fleiß und Betragen lobenswert, bleibt er bei den Großen, wo er dem Alter nach hingehört.« Abgesehen davon, das die Jahrgangsbezeichnung »Quinta« kaum noch jemand versteht, heißt es im Original »passera dans les grands«. Caroline Vollmans Übersetzung, »wird er zu den Großen versetzt«, folgt nicht nur der Logik der Erzählung, sondern ist auch lexikalisch richtig. Daneben gibt es einige Stellen, wo der Klang eines Satzes, der Edl so wichtig ist, nicht nachgebildet worden ist. Aus »mis en pension dans une pension« wird bei Edl »in einer Pension Pension genommen« - eine unschöne Wortdopplung. Auch hier übersetzt Vollmann besser: »in einer Pension in Pension begeben«. Wobei beide nicht einen eingeschobenen Satz nachbilden, der für den Rhythmus wichtig wäre, obwohl auch das möglich ist.
Insgesamt wird Elisabeth Edl ihren Ansprüchen jedoch gerecht. Positiv an der Hanser-Ausgabe ist die Dokumentation des Prozesses gegen »Madame Bovary« im Anhang. Leider werden in den Anmerkungen nicht immer ungebräuchliche Begriffe erklärt. Stattdessen geht es oft um Motivbezüge zu anderen Texten Flauberts, ohne dass deren Relevanz deutlich würde. Sodass man am Ende auf das Lesen der Anmerkungen verzichtet und sich ganz Flauberts wunderbaren Roman widmet.
Gustave Flaubert: Madame Bovary. Sitten in der Provinz. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl. C. Hanser Verlag. 760 S., geb., 34,90 €.
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