Flair der Provinzbühne
Als die Bayern 1974 den Landesmeisterpokal gewannen, glich dieser einem Provisorium
Woran denkt Paul Breitner wohl, wenn man den mittlerweile 61-Jährigen an den ersten deutschen Sieg im wichtigsten Europapokalwettbewerb erinnert? »An die lustigste Busreise meines Lebens. Und die Brotzeit, die wir auf dem Rasen liegend in Mönchengladbach vor dem letzten Bundesligaspiel gemacht haben.« Es war 1974 - eine völlig andere Zeit, als der FC Bayern sich als erster Bundesligist den berühmten Henkelpott einverleibte. In einer Epoche, als der Europapokal der Landesmeister eher einem liebevollen Provisorium glich und nicht jenem durchgestylten Hochglanzprodukt der Champions League. »Was wir heute haben, ist höchstes Entertainment. Ganz großes Kino«, sagt Breitner, im Vorjahr noch Champions-League-Botschafter beim »Finale dahoam«. Früher glich der Wettbewerb eher einem Provinzbühnenstück.
So war das Brüsseler Heyselstadion am 17. Mai 1974 nicht einmal halbvoll, nachdem zwei Tage zuvor 120 Minuten nicht ausgereicht hatten, um gegen Atletico Madrid einen Sieger zu ermitteln. Nach einem Freistoßtor von Luis Aragones in der 114. Minute feuerte Vorstopper Hans-Georg Schwarzenbeck in letzter Minute und allergrößter Verzweiflung noch einen Fernschuss ab, obwohl Gerd Müller »schon schimpfte, weil er den Ball nicht bekam«, wie Schwarzenbeck kürzlich anlässlich seines 65. Geburtstags erzählte. Elfmeterschießen gab es damals nicht. Somit erzwang der »Putzer des Kaisers« das Wiederholungsspiel.
»Und da hatten wir Normalform. Wir haben den Spaniern gezeigt, wo der Hammer hängt«, erzählt Breitner vom furiosen 4:0, das nach je zwei Toren von Uli Hoeneß und Gerd Müller zur Gala geriet. Beim letzten Hoeneß-Tor, einem Dribbling aus der eigenen Hälfte, überschlug sich die Stimme des damaligen Fernsehkommentators Oskar Klose. »Jetzt legen sie ihn um! Nein! Er macht sie alle fertig! Tooor! Tooor!«, schrie der Berichterstatter vom Bayrischen Rundfunk ins Mikrofon.
Anschließend begossen die Münchener ihren Triumph ausgiebig. »Unsere Siegesfeier ging bis 8.30 Uhr morgens. Irgendwo in einem Hotel außerhalb Brüssels«, erinnert sich Breitner. »Wir haben dann alle Spieler eingesammelt und sind direkt nach Mönchengladbach zum letzten Bundesligaspiel gefahren« - und jener Brotzeit auf dem Rasen. »Wir waren ja schon Meister. Uns ging es uns nur noch darum, dass Jupp Heynckes nicht Torschützenkönig wird.« 0:5 gingen die Münchener am Bökelberg zwar unter, der heutige Bayern-Trainer Heynckes traf aber »nur« zweimal und teilte sich mit Müller bei je 30 Treffern den Titel.
Breitner wechselte danach zu Real Madrid, doch bildete der Europapokalsieg die Grundlage für eine nie mehr erreichte bayerische Dynastie im europäischen Klubfußball. Dreimal nacheinander gewannen die Münchener den Landesmeisterpokal, freilich 1975 gegen Leeds United (2:0) und 1976 gegen AS Saint Etienne (1:0) weit weniger spektakulär als gegen Atletico. »1974 hatten wir eine Mannschaft, die in der Lage war, den europäischen Fußball zu beherrschen«, so Breitner, »mit den erfahrenen Spielern um Franz Beckenbauer, Sepp Maier und Gerd Müller und den jungen Wilden wie Uli Hoeneß und mir.« Die aktuelle Elf, da ist sich Breitner sicher, vereint ähnliches Potenzial, »sie muss jetzt aber den Pott gewinnen.«
Finale 2015 in Berlin
Kein Ende der Fußballpartys für die deutschen Fans. Zwei Tage vor dem Finale der Champions League zwischen Dortmund und München vergab die UEFA das Endspiel 2015 an Berlin. Voraussichtlich am 6. Juni wird dann im Olympiastadion die beste Vereinsmannschaft Europas gekürt werden. Damit stellt Deutschland zum fünften Mal in der dann 23-Jährigen Geschichte der Königsklasse den Gastgeber.
Berlin kann die Vergabe durchaus als sportpolitischen Pluspunkt verbuchen. Noch in diesem Jahr muss sich der DFB für einen deutschen Kandidaten für die Pan-Europa-EM 2020 entscheiden. Außer der Hauptstadt kommt nur München dafür infrage. dpa
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