Anpfiff für Walter Jens

Der Feingeist als Libero

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Goethe und Schiller und Lessing, und wie sie alle heißen. Unbedingt zugehörig zu Walter Jens. Aber sie müssen jetzt mal kurz auf die Ersatzbank, wegen anderer Namen: Dehrle Ahlers, Otto Rohwedder, Herbert Panse, Kalli Mohr, Hanno Maack. »Wenn ich den letzten Goethe-Vers vergessen habe, werde ich den Eimsbütteler Sturm noch aufzählen können.« Nicht der unwichtigste Lebens-Satz des Walter Jens.

Mit ihm starb der letzte große Bürger, der Bildung unverzichtbar an die Gabe band, aus elf Männern eine Fußball-Mannschaft zu bilden. Als er Fernsehkritiken für »Die Zeit« schrieb, scharfe schnelle Marginalien der kritischen Wahrnehmungslust, da träumte, plante er gemeinsam mit Uwe Johnson (der übrigens Kritiker des DDR-Fernsehprogramms beim »Tagesspiegel« war) zwei Zeitungsseiten: eine nur mit Glossen zu allen möglichen Dingen, »die gestern geschahen, und ist der Journalist schon kein Dichter, so sollte er doch kräftigen Spaß an der Verdichtung haben, denn in solch kristalliner Form kommen Denken und Sprache am körnigsten zusammen«, und eine weitere Seite mit Sportberichten aus der Feder von Schriftstellern. Abneigung gegen Zahlen, Fakten sollten die Autoren haben, aber Freunde der Dramen Shakespeares sein.

Jens fand die Vorstellung Claus Peymanns, ein komplettes Fußballspiel auf der Bühne zu inszenieren, »berückend«. Unrealisierbar, also höchst erstrebenswert. Der Feingeist bezeichnete sich als Mann jener Fußball-Ära, die den Libero erschuf, diese Gleichnisgestalt für zauberische Freiheiten auf dem Spielfeld, für Raum- und Zeitspiel zwischen Präzision und perlender Improvisation. Der Ball wurde nicht nur geschossen, sondern auch getragen. »Meine Sehnsucht übrigens«, schrieb er auf einen Zettel, beigegeben einem autorisierten, mit einer Fußballfrage ergänzten Interview für »neues deutschland«, »ist eine Elf, die nicht nur den Gegner überrascht, sondern fortwährend auch sich selbst, und die schönste Überraschung: kein Gegensatz mehr von Erfolg und Schönheit.« Begeisternd, hell wie Handke.

Im Fan, so sagte er, siege eine Wildform ekstatischer Genugtuung über jenes gesamte Systemwissen, das die Vernunft aufhäuft. Herrlich, einen so Vernunftbegabten mit Fußball in Verbindung bringen zu können. Ätherisch ist langweilig - das Schöne am Ball ist doch, dass er immer wieder auf den Boden kommt. Schön also, wenn Kämpfer Kampfpausen einlegen und ins Banale einkehren wie in ein Wirtshaus. Es ist ein bisschen so wie mit einem »Zeit«-Interview, das Sahra Wagenknecht vor Jahren gab: Man sah sie auf dem Foto erstmals mit offenem Haar, und sie sagte Sätze wie den: »Ich glaube nicht, dass ich mich in einen Mann verlieben könnte, den ich als unterlegen empfinde.« Die Anmut der ganz normalen Empfindung. Souveränität des schwachen Geschlechts. So, wie Jens meinte, er werde schwach und verrate jedes Buch, das er gerade schreibe oder lese, »wenn irgendwo ein Anpfiff ertönt«.

Gespielt hat er auch: Torwart in einer Freiburger Studenten-Elf. Galt als strafraumbeherrschend. »Aber ausgerechnet auf der linken Seite kam ich nicht schnell genug in die Horizontale.« Links, das war nun mal die Seite seines Aufstiegs.

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