Griechenland: Ver.di spricht von »schwerstem denkbaren Eingriff in die Pressefreiheit«

Journalisten im Streik gegen Rundfunk-»Staatsstreich« / Heftige Proteste auch im Ausland / Generalstreik am Donnerstag

  • Lesedauer: 4 Min.

Athen (Agenturen/nd). Nach dem überraschenden Beschluss der Regierung in Athen, den Staatsrundfunk ERT zu schließen, sind die griechischen Journalisten am Mittwoch in einen Streik getreten. Die Medien im Land nahmen sämtliche Nachrichten aus ihrem Programm. Ausnahmen erlaubte der Journalistenverband nur bei der Berichterstattung über die ERT-Schließung. Ansonsten liefen Shows, Filme oder Kochsendungen.

Die griechischen Gewerkschaften haben außerdem aus Protest gegen die Schließung des Staatsfernsehens für Donnerstag zu einem 24-stündigen Generalstreik aufgerufen. In einer Erklärung der Gewerkschaft für den Privatsektor, GSEE, war im Zusammenhang mit der am Vortag erfolgten Schließung des Senders ERT von einem »Staatsstreich« die Rede. Zusammen mit Adedy, der Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst, rief GSEE außerdem zu einer Kundgebung vor dem ERT-Gebäude in Athen auf.
In der GSEE-Erklärung wurde die »Beharrlichkeit« kritisiert, mit der die Regierung an »äußerst antidemokratischen Entscheidungen« festhalte. Adedy verurteilte den »plötzlichen ERT-Tod durch ein Dekret«, dessen Ziel der »Abbau staatlicher Einrichtungen« und die »Entlassung von 14.000 Beschäftigten des öffentlichen Dienstes« sei. Allein beim Fernsehsender ERT verlieren etwa 2700 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz.

Reporter ohne Grenzen nannte die Abschaltung des Staatsrundfunks »haarsträubend« und »aberwitzig«. Die Regierung in Athen müsse ihre »plötzliche und brutale« Entscheidung »sofort« rückgängig machen, forderte die Journalistenorganisation in Paris.

Die Gewerkschaft Verdi kritisierte die ERT-Schließung als »schwersten denkbaren Eingriff in die Pressefreiheit«. Demokratische und soziale Rechte dürften »nicht zur freien Verfügungsmasse eines finanzpolitischen Diktats werden«. Gerade für ein Land wie Griechenland, »das sich mitten in einer sehr schwierigen politischen Umbruchphase befindet, ist der Verlust eines unabhängigen Rundfunks ein schwerer Schlag gegen die Meinungsbildung der Gesellschaft und kritische Berichterstattung über Politik und Wirtschaft«, erklärte Ver.di-Vize Frank Werneke. »Dieses demokratiefeindliche Vorgehen gegen die Pressefreiheit ist mit dem Wertesystem der Europäischen Union unvereinbar.«

Die Mitarbeiter des Fernsehsenders ERT, die am Dienstag durch die Ankündigung der Regierung zur Einstellung des Sendebetriebs überrascht worden waren, nutzten das Internet und den Privatkanal 902 der Kommunistischen Partei zur Übertragung einer Diskussion über das Aus für den Sender. In der Redaktionszentrale im Athener Vorort Aghia Paraskevi versuchten die Journalisten, den Betrieb aufrecht zu halten.

Die überraschende Entscheidung zur Schließung traf bei den Angestellten, Gewerkschaften und der Opposition auf scharfen Protest. Auch die Kirche äußerte Kritik. Für die nächsten Tage ist ein Generalstreik geplant. Der Präsident der Angestelltengewerkschaft, Pangiotis Kalfagianis, kündigte an, sich der Schließung des Senders zu widersetzen. »Selbst wenn sie die Demokratie zerstören wollen, gelten weiter die Gesetze, und ich werde dafür kämpfen«, sagte Kalfagianis. Er kündigte an, bei der europäischen und der griechischen Justiz Klage einzureichen.

Versammlungen gab es vor den Gebäuden des staatlichen Radios in allen Provinzen. In Athen versammelten sich am Dienstagabend auch tausende Bürger vor dem Rundfunkgebäude, um gegen die Schließung zu protestieren. Zudem meldeten sich hunderte Auslandsgriechen telefonisch und über das Internet und forderten die Rücknahme des Beschlusses. Auch der griechische Erzbischof Hieronymus II. bezeichnete die Schließung als »undenkbar«. Der Verband der griechischen Journalisten kündigte Arbeitsniederlegungen gegen die Schließung an. Auch die Europäische Runfunkunion (EBU) kritisierte den Beschluss der Regierung in Athen.

Geschlossen wurden drei landesweit ausgestrahlte TV-Programme, ein über Satellit ausgestrahltes Programm, sieben landesweit ausgestrahlte Radioprogramme sowie 19 regionale Radiosender. Regierungssprecher Simos Kedikoglou hatte mit Verweis auf die »unglaublichen Ausgaben« und die »fehlende Transparenz« des Senders am Dienstag zur allgemeinen Überraschung die sofortige Einstellung des Betriebs bekannt gegeben. »Es kann keine heiligen Kühe geben, die nicht geschlachtet werden können, wenn überall gespart wird«, so der Sprecher.

Die bisherigen 2700 Mitarbeiter sollen eine Abfindung erhalten und sich bei einem neuen Sender, der demnächst mit deutlich weniger Personal den Betrieb aufnehmen soll, um eine Stelle bewerben können. Griechenland steht unter massivem Druck der internationalen Gläubiger, den Staatsdienst deutlich zu reduzieren, um Ausgaben einzusparen. Die Regierung kündigte am Mittwochvormittag ein Gesetz für »einen neuen griechischen Rundfunk« an. Der Gesetzentwurf zur Neuregelung von Fernsehen, Radio und Internet werde am Nachmittag in der zuständigen Kommission erörtert werden, hieß es in einer Mitteilung.

Die Entscheidung zur Einstellung des ERT wurde nur von der konservativen Nea Dimokratia von Ministerpräsident Antonis Samaras getragen, nicht aber von ihren linken Koalitionspartnern, der Pasok und der Dimar-Partei. Der Vorsitzende der linksradikalen Syriza-Partei, Alexis Tsipras, rief Staatspräsident Carolos Papoulias auf, das Dekret zur Schließung des Senders nicht zu unterzeichnen.

In der Nacht zum Mittwoch war ein TV-Programm nach dem anderen abgeschaltet worden. Etwa eine Stunde vor Mitternacht war in Athen zunächst nur noch ein Kanal des staatlichen Fernsehens zu empfangen. Auch die Radiostationen stellten den Sendebetrieb ein.

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