Keine Funkstille in Athen

Gewerkschaften und Journalisten organisieren Widerstand gegen Regierungsentscheidung

  • Anke Stefan, Athen
  • Lesedauer: 2 Min.
Ein staatliches TV- und Radioprogramm nach dem anderen wurde gestern in Griechenland abgeschaltet. Nach dem ersten Entsetzen formiert sich breiter Widerstand.

»Während der Juntaherrschaft wurde das so gemacht, plötzlich und schnell«, lautete einer der ungezählten Twitterbeiträge zu der am Dienstagnachmittag verkündeten Entscheidung der griechischen Regierung, den Betrieb der staatlichen Radio- und Fernsehanstalt ERT noch zum Ende desselben Tages vollständig einzustellen.

Regierungssprecher Simos Kedikoglou begründete den Entschluss damit, dass die ERT »ein Hort von Intransparenz und Verschwendung« sei. Eine Korrektur der Verhältnisse sei bei laufendem Betrieb nicht möglich gewesen. Sobald wie möglich werde eine neue, verkleinerte Anstalt gegründet, vergleichbar mit denen in anderen Ländern Europas.

Fakten zur ERT-Abschaltung in Griechenland

● ERT heißt Ellinikí Radiofonía Tileórasi, Griechischer Rundfunk, und ist die staatliche Hörfunk- und Fernsehanstalt Griechenlands. Sie besteht unter verschiedenen Namen seit 1938.

● Die Anstalt wird vom Staat kontrolliert. Den Vorstand stellt die jeweilige Regierung ein.

● Die Finanzierung erfolgt durch Gebühren, die mit der Stromrechnung eingezogen werden, und Werbung. Die Höhe der Rundfunkabgabe bemisst sich nach dem Energieverbrauch und beträgt rund ein Zehntel der Rechnung für Elektrizitätskosten. Das kostet die Griechen nach Angaben der Regierung rund 300 Millionen Euro jährlich.

● Das ERT-Fernsehen strahlte bis Dienstagabend landesweit drei Programme aus, dazu kamen ein Satellitenprogramm und ein Programm über die Arbeit des Parlaments. Das Staatsradio produzierte fünf landesweite Programme. Zudem wurde ein Kurzwellensender betrieben.

● Die Hauptnachrichtensendung des ERT-Nachrichtensenders NET erreichte zuletzt sechs Prozent Marktanteil. Die ERT-Radiosender hatten Einschaltquoten bis zu 1,5 Prozent.

● Die ERT hat nach Angaben ihrer Gewerkschaft exakt 2656 Angestellte.

dpa/nd

Die Betroffenen sind nicht gewillt, die Einstellung der einzigen professionellen, von privaten Kapitalgebern unabhängigen Medienanstalt des Landes widerstandslos hinzunehmen. Es herrschte keine Funkstille. Das zentrale ERT-Gebäude im Athener Stadtteil Agia Paraskevi befindet sich seit Mittwochmorgen in den Händen der entlassenen Angestellten, die von dort aus ein in Eigenregie erstelltes Programm ausstrahlen. Auch die Abschaltung der Frequenzen und die Sperrung des Internetzugangs konnten die Ausstrahlung des Streikprogramms nicht verhindern. Das über die Internetseite ert.gr zu empfangende Live-Fernsehen wurde nach Kappung der Technik im Sender von solidarischen Leitungen und Angestellten der Portale anderer, privater Sendeanstalten übernommen.

Gleichzeitig traten im ganzen Land die Medienmitarbeiter in den Streik. Radio- und Fernsehsender strahlen bereits seit Mittwoch keine Nachrichtensendungen mehr aus - ausgenommen sind Berichte über die Entwicklungen bei ERT. Die Zeitungen des Landes wollten sich heute Morgen anschließen.

Die beiden Gewerkschaftsdachverbände ADEDY (öffentlicher Dienst) und GSEE (private Wirtschaft) riefen einen eintägigen Generalstreik für Donnerstag aus. Für die Mittagsstunde ist eine Protestversammlung vor dem zentralen ERT-Gebäude in Athen angesetzt.

Dort hatten sich bereits am Dienstagnachmittag Tausende Mitglieder von Parteien, Gewerkschaften und Organisationen, darunter bekannte Persönlichkeiten wie der antifaschistische Widerstandskämpfer und Nationalheld Manolis Glezos, eingefunden. Sie alle protestierten gegen die von so manchem als »Putsch« bezeichnete Schließung der »für eine Demokratie unerlässlichen« einzigen unabhängigen Stimme Griechenlands. Viele sahen darüber hinaus einen Zusammenhang zwischen der Schließung und der Forderung der ausländischen Gläubigertroika nach drastischem Abbau staatlicher Stellen. Die Angestellten der ERT seien erste Opfer dieser Kahlschlagpolitik.

Selbst innerhalb der Regierungskoalition ist die Entscheidung umstritten. Der konservative Ministerpräsident Antonis Samaras hätte ohne Konsultation mit den Koalitionspartnern im Alleingang entschieden, beklagten sich die Vorsitzenden der sozialdemokratischen PASOK und der linksdemokratischen Partei DIMAR, Evangelos Venizelos und Fotis Kouvelis. Die beiden Juniorpartner der Nea Dimokratia (ND) unter Samaras reichten im Parlament einen Antrag auf Rücknahme der Schließung ein. Die von ihnen gestellten Minister hatten den Regierungserlass nicht unterschrieben.

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