Kandidaten unter Wächteraugen

Nach dem Antrittsverbot für den Wunschkandidaten der Reformer droht der Sieg eines Hardliners

  • Behrouz Khosrozadeh
  • Lesedauer: 4 Min.
Die offizielle Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl endete am 11. Mai; 686 Personen hatten sich eingeschrieben, zugelassen wurden am Ende ganze acht, davon treten sechs an.

Der Wächterrat, die religiöse Aufsicht der Islamischen Republik Iran, hat nur acht Männern die Kandidatur erlaubt. Von ihnen haben zwei, darunter der Reformer Mohammad Reza Aref, ihre Kandidatur zurückgezogen. Es verbleiben fünf Khamenei-treue und der reformistische Kandidat Hassan Rowhani. Unter den Islamisten werden Ex-Minister Mohammad Garazi, dem Ex-Kommandeur der Revolutionswächter Mohsen Rezai und dem Teheraner Oberbürgermeister Mohammad Baqer Qalibaf nur geringe Chancen eingeräumt.

Hoch gehandelt werden dagegen der langjährige Außenminister Ali Akbar Velayati und der 47-jährige Chefunterhändler für Nuklearangelegenheiten Said Dschalili. Beide gelten als absolut gehorsam gegenüber dem geistlichen Oberhaupt Irans, Ayatollah Ali Chamenei. Bis vor kurzem schienen die Chancen des unerfahrenen, den Revolutionswächtern und dem Sicherheitsapparat sehr nahe stehenden Irak-Kriegsveteranen Saeed Dschalili sehr gut zu stehen. Doch in den drei TV-Duellen ist zuletzt Velayati durch seine harsche Kritik am Nuklearkurs des Landes den Zuschauern aufgefallen. Velayati kritisierte die unflexible und für Iran ökonomisch immens schädliche Atompolitik der Regierung von Präsident Mahmud Ahmadinedschad sowie die Diplomatie Dschalilis, dem er mangelnde diplomatische Reife attestierte. Velayati, nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Außenministers seit 1997 außenpolitischer Berater und enger Vertrauter Chameneis, verfolgt einen ausgewogenen Kurs zwischen Bewahrung des iranischen Atomprogramms und Zufriedenstellung der 5+1-Staaten - den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates plus Deutschland.

Der Westen wirft Iran vor, mit seinem Atomprogramm Nuklearwaffen herstellen zu wollen und hat deshalb ein umfangreiches Boykottsystem gegen die Republik, vor allem gegen deren Ölexport verhängt. Im Mai verkaufte Iran 700 000 Barrel Öl, ein Jahr zuvor waren es noch 2,2 Millionen Barrel.

Nachweislich ist die Ära Ahmadinedschads, der nach zwei Wahlperioden nicht wieder antreten darf, eines der dunkelsten Kapitel der neuzeitlichen Geschichte Irans. Er brachte das Land trotz lange Zeit astronomischer Erdöleinnahmen an den Rand des wirtschaftlichen Ruins. Außenpolitisch geriet Iran in seiner Regierungszeit in eine beinahe totale Isolierung, einschließlich einer latenten Kriegsgefahr. Daher standen bei den TV-Duellen diese beiden Themen bei allen Kandidaten außer bei Dschalili ganz oben auf der Agenda.

Velayati beschuldigte Ahmadinedschads Außenministerium, vor Jahren seine verheißungsvollen Verhandlungen mit Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy über eine Entspannung im Nuklearstreit torpediert zu haben. Würden die Äußerungen Velayatis stimmen, so würde die bisherige Annahme, Chamenei lenke im Alleingang die Atompolitik, erschüttert. Fakt ist jedoch, dass Ahmadinedschads Regierung sich seit gut einem Jahr nicht mehr in Nuklearverhandlungen zu Wort meldet. Der Präsident hat selbst eingeräumt, er sei in die Einzelheiten des Nuklearstreits nicht mehr eingeweiht. Es ist gut möglich, dass es sich um ein Szenario handelt, bei dem Chamenei einen moderateren Politiker nach oben puschen will.

Dschalili warf Velayati vor, bei den Verhandlungen in der kasachischen Metropole Almaty im April die Kompromissbereitschaft der 5+1-Staaten unnütz verspielt zu haben. Der 67-jährige Velayati wird vor allem von der »Gesellschaft der Dozenten der religiösen Seminare von Qom«, der »Gesellschaft der Kämpfenden Geistlichkeit« und der »Vereinigung der Islamischen Koalition« - Chamenei-treuen Einrichtungen - unterstützt. Am Montag sagten außerdem 160 Parlamentsabgeordnete Velayati ihre Unterstützung zu.

Eigentlich müsste der Reformer Hassan Rowhani aussichtsreichster Kandidat sein, da er als einziger Reformkandidat gegen sich gegenseitig blockierende Konservative ins Rennen geht. Gestützt wird der 65-jährige von den Ex-Präsidenten Ali Akbar Rafsan᠆dschani (78), den der Wächterrat für zu alt für eine erneute Kandidatur befand, und Mohammad Chatami; des Weiteren von der größten Reformgruppe, der Partizipationspartei, der »Gemeinschaft der Kämpfenden Geistlichen« sowie der »Gesellschaft für Frauen der Islamischen Republik«. Am Dienstag haben außerdem 140 prominente populäre Künstler und Literaten ihre Unterstützung für Rowhani bekundet. Ein erheblicher Teil der Oppositionellen, die nach Rafsan᠆dschanis Disqualifikation keinen Sinn mehr in halbwegs freien Wahlen sehen, will aber an den Wahlen nicht teilnehmen. Es ist gut möglich, dass Dschalili und Velayati das Rennen unter sich ausmachen.

Die etwa 55 Millionen Wahlberechtigten Iraner haben im Allgemeinen wenig Ansprüche. Die 35 Jahre lang bestehende Islamische Republik hat aufgrund ihrer erdrückenden gesellschaftspolitischen Repressalien und des sozioökonomischen Missmanagements die Erwartungen und Forderungen niedrig gehalten. Die Bevölkerung wäre froh, wenn die Lage des Landes auf den Stand von August 2005, dem Amtsantritt von Ahmadinedschad, zurückfallen würde.

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